Montag, 1. April 2024

Saarland-Radweg

„Auf Gleis 3 fährt ein der RE 5 nach Stuttgart.“ Wow, er ist pünktlich! „Heute ohne Fahrradmitnahme.“ Fuuuuck. Bricht uns die Reisekette schon um 6:09 Uhr zusammen, schon wieder, weil die Achillesferse Esslingen - Stuttgart nicht funktioniert? Nein! Wir schieben unsere Fahrräder trotzdem in den hintersten Wagen. Ist ja nur eine Station. Es schmeißt uns niemand raus. Unsere Reise ins Saarland – auf den Tag genau 70 Jahre nach dem legendären Länderspiel Deutschland gegen Saarland – kann also planmäßig starten.


Der obligatorische kurzfristige Gleiswechsel in Stuttgart wird heute zum Glück rechtzeitig angekündigt. Cappuccino kaufen, auf Gleis 1 wechseln, Sonnenaufgang anschauen, einsteigen. Jetzt kann der Urlaub starten. 

„Mit einer zarten Verspätung von 10 Minuten erreichen wir dann jetzt Karlsruhe“. Der lustige Ansager von Go Ahead erinnert einmal mehr daran, dass wir morgen dank des Feiertags alle nicht arbeiten müssen. Dann entlässt er uns in den badischen Regen. Wir sprinten mit den schweren Fahrrädern durch die Bahnsteigunterführung – und schaffen den Anschluss nach Neustadt (Weinstraße).

Unser Gespräch über Uli Hoeneß und Olli Kahn wird dadurch unterbrochen, dass der Zug den Bahnhof Homburg (Saar) erreicht. Äh, Mist, da müssen wir ja aussteigen! In Rekordzeit packen wir unsere Sachen und stürzen auf den Bahnsteig. Da werden wir von Regen und kaltem Wind überrascht und müssen erstmal ein paar Schichten drüberziehen, bevor wir in die Stadt starten. 

Wir geben trotz des Wetters nicht auf, aber Jules Helm hat ne Schraube lecker. Also Abstecher zu Saar Rad im vielleicht hässlichsten Gewerbegebiet des Saarlands. Leider erfolglos, der Helm bleibt locker.
Homburg liegt nun hinter uns. Die nächste größere Stadt wird vermutlich in drei Tagen Saarbrücken sein.


Kurzer Stopp unter der Autobahn, um im Trockenen die Regenhose zu richten. Die Fahrt durch den duftenden Wald macht auch bei schlechtem Wetter gute Laune. 

„Streuselstücksche hann isch!“ Kaffeepause gegenüber vom Waffenhandel in Jägersburg. Zwei Espressos, zwei Ostereier und eine Laugenstange für fünf Euro. Das Beste an strukturschwachen Regionen sind die Preise. Und der Dialekt. 

„Die Sabine hat die Beem umgefecht, jetzt sidd mer vom Turm widder was“. Der Mann redet wohl von einem Orkan. Ich verstehe nicht alles, was er sagt, aber nicke konsequent. Am Aussichtsturm sind wir vorhin vorbeigeradelt, der hat aber leider noch Winterpause, mit Bäumen hätten wir also auch nicht weniger gesehen. 

Zwecks der Beerdigung in Lautenbach muss der Mann nächste Woche mal schauen, wer da gestorben ist, das steht ja dann am Kreuz. Der Tatort-Ermittler in mir hatte also recht, dass es sich um eine Beerdigung handelte: für eine gewöhnliche Gründonnerstags-Fußwaschung waren die Menschen zu schwarz angezogen und die Auto-Kennzeichen zu vielfältig. 

In Dörrenbach stellen wir uns vor dem Graupel unter. Drei Minuten später fahren wir in strahlendem Sonnenschein weiter. Der Ort ist recht tot, aber total süß. Übertriebene Bergbautradition oder Stromausfall? Der Briefträger wird von einer Anwohnerin mit leuchtender Stirnlampe empfangen. 

Weiter radeln wir durchs schöne Ostertal. Was hätte es an Ostern passenderes geben können?

„St. Wendel - hier lebt das Leben.“ Offensichtlich ist der Rastplatz, an dem wir diesen Werbespruch lesen, nicht in St. Wendel. Hier lebt nichts mehr, auch nicht die vergammelte Tischtennisplatte. Aber wir freuen uns sehr über den überdachten Rastplatz und genießen die Brotzeit. 

Bald darauf erblicken wir am Horizont ein Highlight: die 30 m hohe und 275 m lange Oberkircher Talbrücke. Mit der Brücke beginnen wir die Fahrt auf der Trasse der früheren Westrichbahn. Die Bahnstrecke wurde erst 1936 eröffnet (ein Schelm, wer militärisches dabei denkt…), heute ist sie zumindest in Teilen ein Fahrradweg.

Mit gemütlicher Eisenbahn-Steigung, aber auf wasserübersättigtem Klebebelag, fahren wir in einer langen Schleife um den Weiselberg und passieren die Eiserne Brücke. Plötzlich steht dann mitten im Wald eine ADAC-Fahrradpannenhilfe. Jules Helm hat jetzt also immer noch eine Schraube locker, aber ihr Fahrradreifen kriegt wieder Luft. 

Am Ortseingang von Freisen biegt der Saarland-Radweg an einem großen Bauschild unerwartet nach links ab. 2021 wurde hier ein neuer Radweg auf der alten Bahntrasse eröffnet, und der wird uns auf glattem Asphalt - und meist leicht bergab - die nächsten Stunden versüßen. 

„Bahnradweg St. Wendeler Land“ nennt sicher dieser wunderschöne Abschnitt. Der Titel „Bahnradweg des Jahres“ ist Ende März schon vergeben. Wie schön! Liebevolle Rastplätze, humorvolle Asphaltmalereien, breit und glatt asphaltiert. Wir genießen den Weg in heute bislang nicht gekannter Geschwindigkeit und grinsen über beide Backen.

In Türkismühle wechseln wir auf den nächsten Bahntrassenweg, wir folgen aber nicht der Hochwaldbahn in den Hunsrück, sondern zweigen bald zum Bostalsee ab. Die stürmische Ankunft dort fühlt sich an wie die Ankunft an der Nordsee. Aber der Himmel reißt auf. Hinter uns ein Regenbogen, vor uns Sonne und See.

Eine der vielen Attraktionen am See ist ein Haus, dass auf dem Kopf steht. 

Am Bostalsee entlang dürfen die Fußgänger auf Asphalt am Seeufer entlang, die Radfahrer müssen auf Kies durchs Gemüse. Wir nehmen diese unnötigen letzten Höhenmeter gelassen hin und erreichen glücklich und sonnig unsere Unterkunft, Victor's Seehotel. Die Vorfreude auf die Sauna ist groß.

Sauna, Schwimmbad, Whirlpool: tut - das - gut! Regen, x mal Jacke an- und ausziehen, war da was? Um 5:30 Uhr aufstehen und stundenlange Bahnanreise, war da was? 68 Kilometer und 850 Höhenmeter mit Gepäck, war da was? Nein, da war nichts. Heute war ein entspannter Wellnesstag.

Zum Abendessen gibt es Hoorische mit Specksauce. Und natürlich Wurstsalat. Beides wird für gut befunden. 

Die gute Nachricht am Karfreitag: heute ist nicht so ein Aprilwetter wie gestern. Die schlechte Nachricht: es regnet einfach durchgehend. Und es ist kalt. Zum Glück geht es erstmal mehrere Kilometer am Stück bergauf. Also Schweiß von innen, Regen von außen. Ein Vielversprechender Etappenstart...

Trotzdem haben wir gute Laune. Wir erfreuen uns am Nebel und den kleinen Bachläufen im Nationalpark Hunsrück-Hochwald – bis ein Knall und ein Schrei die Ruhe des Waldes erschüttern: ich habe eine Pfütze unterschätzt und leide jetzt an Spiegeleiern...

Der neue Keltenpark neben der Keltenklause und dem Sportplatz der Celtic Bulls ist leider noch geschlossen. Ein bisschen aufwärmen und trocknen hätte gut getan... Aber das Gebäude und der Parkplatz sind mittlerweile fertig. Als ich letztes Jahr auf meiner Wanderung zum höchsten Gipfel des Saarlands hier vorbeigekommen bin, war alles noch Baustelle.


Wir radeln weiter entlang der Talsperre Nonnweiler, vorbei am „Hunsrückdom“ und durch das Primstal. Es gibt jetzt weniger Höhenmeter, aber nicht weniger Niederschlag. Immerhin kommt das klappernde Geräusch heute nicht von Graupelschauern, sondern von den Klapperjungen.

Wir sitzen in der St. Florianshütte der Freiwilligen Feuerwehr Kastel und lauschen dem Regen. Und beobachten beim Ausatmen, wie sich unser Atemdampf in Luft auflöst. Das Wetter ist ziemlich igitt und unterstützt meine Erkältungsgenesung nicht unbedingt.


Gegen 12:30 Uhr begegnet uns der erste andere Radfahrer. Damit steht es im Ranking der Wildsichtungen jetzt 2:1: Zwei Rehe, ein Radfahrer. Der Radfahrer grüßt nett zurück. Der einzige andere Radfahrer, der uns gestern begegnet ist, hatte auch nett gegrüßt. Saarländer sind scheinbar sehr nett. Und Radfahrer im Saarland ziemlich selten. (Am Nachmittag wird uns noch ein zweiter Radfahrer begegnen – passend zum Wetter trägt er eine Skibrille).

Auf einem Bahntrassenradweg geht es weiter durchs Primstal. Wir stoppen kurz am Schlossgarten in Dagstuhl. Der starke Regen und das starke Verlangen nach einem beheizten Lokal ziehen uns aber weiter in das Städtchen Wadern.

Kurz darauf sitzen wir dort beim Domprobst. Ich wärme meine Finger am Kamillentee und warte auf die Tomaten-Chilli-Suppe. Das Regenradar macht Hoffnung, dass der Regen in den nächsten Stunden heller wird.

Tatsächlich: nach der Mittagspause ist es deutlich heller und der Regen nur noch schwach. Wieder losfahren ist deutlich weniger eklig als vorher die nasse Regenkleidung wieder anzuziehen.
Schon kurz nach der Abfahrt bestätigt sich mein Verdacht: die Kellnerin hat die beiden Tassen vertauscht. Jule, die eigentlich einen koffeinfreien Espresso wollte, strahlt über beide Ohren und rast wie eine junge Göttin über die Hügel, ich, der ich einen richtigen Espresso bestellt hatte, bin komplett träge und unkonzentriert und kann sogar ein Gähnen nicht unterdrücken. Jule hat jetzt also Koffeinmotor UND Elektromotor, ich hechele hinterher und versuche, die Landschaft zu genießen - von der sieht man jetzt ein bisschen mehr als noch vor der Mittagspause. 

Sehenswürdigkeiten wie der Kurpark von Weiskirchen, Schloss Münchweiler und die Lourdesgrotte am Rammenfels unterbrechen unnötig Jules Koffeinrausch. Ihre Körperspannung sagt: „Mach dein verdammtes Foto jetzt schneller, ich will weiter, solange das Doping wirkt!“ Wow, ich erkenne zum ersten Mal, wie mein klassischer Radreise-Nachmittags-Koffeinschock auf Mitreisende wirken muss. Erschreckend. 

Auch wenn meine Beine schwer sind, kommen wir gut voran. Über das überraschend lebendige Losheim am See nähern wir uns dem Etappenziel Mettlach. Unterwegs fotografiere ich noch, dass der Weg nach Brotdorf an einer Bäckerei vorbeiführt - und wie rot die Pfützen im Wald sind.

Der letzte Bergsprint und die Abfahrt nach Mettlach machen nochmal richtig Spaß. Schließlich erreichen wir die Saar, das Headquarter von Villeroy&Boch und unser Hotel. Es war wirklich eine tolle Etappe heute, und wir sind richtig happy, auch wenn man sich das nicht vorstellen kann, wenn man weiß, durch was für ein Wetter wir uns heute gequält haben. Die Zahlen des Tages: 9 Grad Minimaltemperatur, 10 Grad Maximaltemperatur, 11 Mal Pippi machen müssen. 0 Minuten, in denen es nicht geregnet hat. Motivation, die wir jetzt noch haben, den Abstecher zur Saarschleife zu fahren: 0 Komma 0. Ich war noch nie an der Saarschleife, wir wohnen heute um die Ecke, ich hatte mich auf sie gefreut. Aber jetzt freue ich mich einzig und allein auf die warme Dusche. Es reicht für heute.


Mal schauen, ob ich es schaffe, jeden Abend ein saarländisches Gericht zu essen, von dem ich noch nie etwas gehört habe. Heute klappt es: Dippelappes. Eine Art Kartoffelpuffer mit Speck. Dazu Apfelmus und Salat. Schmeckt wirklich lecker. 

Der Karsamstag startet mit dem vielleicht schönsten aller Etappenstarts: zuerst schauen wir uns - ohne Regen! - die Highlights von Mettlach an: das in einem früheren Kloster untergebrachte Headquarter von Villeroy&Boch mit dem benachbarten Alten Turm, daneben der 14 Meter hohe Erdgeist von André Heller und das aus Villeroy&Boch-Fliesen gestaltete EXPO 2000 Kunstwerk „Weltkarte des Lebens“.
Danach führt der Weg wunderschön oberhalb der Saar entlang. Auf den ersten fünf Kilometern begegnen uns mehr Radler als an den letzten beiden Tagen zusammen. Flussradwege sind weiterhin die beliebtesten Radwege, daran haben Pedelecs nichts geändert. 


Wir verlassen den Flussradweg schon nach wenigen Kilometern und schrauben uns 250 Höhenmeter nach oben – unterwegs werden wir dafür mit noch schöneren Blicken auf den Fluss belohnt. Auf der Hochfläche geht es dann im Auf und Ab mit viel Wind weiter. 

Je nach Wetterapp haben die Angaben geschwankt, ob es heute ab 16 Uhr oder ab 17 Uhr anfängt zu regnen. Um 12:40 Uhr stehen wir vor der römischen Villa in Nennig und ziehen die Regenkleidung an…

Aber immerhin: Wir sind 34 Kilometer lang trocken geblieben, also 34 Kilometer mehr als gestern. Und der Besuch in der römischen Villa mit dem größten erhaltenen römischen Mosaikboden nördlich der Alpen hat sich gelohnt. 

Auf einen Besuch an der Saarschleife haben wir hingegen erneut verzichtet. Der starke Wind, das dunkle Grau und die niedrigen Temperaturen auf der Hochfläche haben uns von der Idee abgebracht, einen Abstecher zum Aussichtspunkt Cloef zu machen. Wir reden es uns dadurch schön, dass man bei dem Wetter eh keine schönen Fotos hätte machen können... und werden uns ganz sicher die Saarschleife anschauen, wenn wir das nächste Mal im Saarland sind. Jetzt gibt es einen Grund mehr, wiederzukommen.

In Faha stellen wir mal wieder fest, dass es im Saarland entweder sehr laxe Bauvorschriften gibt – oder gar keine. Man findet in diesem Ort keine zwei Häuser, die gleich aussehen. Jeder, der im Saarland ein Grundstück hat, darf darauf scheinbar bauen, was er will. Toskana-Stil, französischer Stil, Flachdach, Krüppelwalmdach – alles ist erlaubt, was gefällt. Das macht Neubaugebiete überraschend attraktiv, der Häuslebauer-Einheitsbrei, den man in unseren Gefilden kennt, wird hier scheinbar verpönt.

Zur Mittagszeit radeln wir an der Mosel entlang. Und lassen es uns nicht nehmen, den Fluss zu überqueren, um einen Abstecher nach Schengen zu machen. Das 1985 in diesem luxemburgischen Dorf geschlossene Abkommen erlaubt es uns, auf der Brücke keinen Ausweis vorzeigen zu müssen. In einem Schiffshop (oder besser Shopschiff?) versorgen wir uns mit Europa-Souvenirs, dann geht es zurück nach Deutschland.

Die Rewe-Bäckerin in Perl, bei der ich zwei Espressos kaufe, erlaubt uns, einen Tisch im Außenbereich zu nutzen, um dort auch unser „mitgebrachtes Essen“ (also das, was wir gerade im Rewe gekauft haben) zu verzehren. Am unromantischsten Ort weit und breit essen wir also zu Mittag und rufen meinen Vater an, um ihm zum Geburtstag zu gratulieren. Aber wir wollen bei dem Regen nicht irgendwohin weiter fahren, wo es dann fürs Picknick keine Überdachung gibt…

Hinter Perl geht es zum zweiten Mal heute 200 Höhenmeter am Stück bergauf. Es wird uns also wieder warm - und der Regen hat sich auch verzogen. Dafür sind wir und unsere Fahrräder komplett verdreckt vom Saharastaub, den der Regen mit sich gebracht hat...

Oben auf der Höhe fahren wir eine Weile direkt an der französischen Grenze entlang - und lassen es uns natürlich nicht nehmen, 20 Meter nach Frankreich reinzufahren und ein Selfie vor einem französischen Ortsschild zu machen. Wir waren heute also in drei Ländern. 

Jule und ihr Akku sind beide hart am kämpfen, große Geschwindigkeiten erreichen wir nicht mehr. Aber wir meistern das beständige Auf und Ab auf abwechslungsreichen Wirtschaftswegen. Sowohl Jule als auch der Akku schaffen es gerade so ins Ziel. 

Die Königsetappe endet nach 81 Kilometern und 1.111 Höhenmetern im Hotel Gasthaus Gellenberg in Hemmersdorf. Die letzten Stunden war der Regen dann doch wieder stärker, aber so durchnässt wie gestern sind wir nicht. Wie jeden Abend freuen wir uns auf die warme Dusche - und aufs Abendessen.

Nach der telefonischen Buchung hatten wir eigentlich eine urige, etwas heruntergekommene Dorfkneipe erwartet. Stattdessen sitzen wir in einem sehr schönen Restaurant in einem ansprechend sanierten Gebäude. Gemüsepfanne und Lyoner Pfanne schmecken gut. Und auch das Ostersonntag-Frühstück am nächsten Morgen tut gut. Wie sagt im Saarland so schön: Hauptsach gudd gess!

Drei Jahre hat es gedauert, bis der Hinweis „familienfreundlicher Radweg“ aus dem bikeline-Buch zum Saarland-Radweg verschwunden ist. Vorher musste unser Vermieter die Kinder der radreisenden Familien mit dem Auto runter ins Saartal fahren, damit sie sich die schwierigen Anstiege ersparen konnten. So erzählt er es uns beim Frühstück. Anders als der Vermieter gestern hat der heute nicht verschlafen und das Frühstück pünktlich auf den Tisch gestellt. Durch die Zeitumstellung einer Stunde beraubt sitzen wir vor unserem starken Kaffee und reden mit ihm über das Wetter der letzten Tage. Er musste am Donnerstag auf der Autobahn bei einem Hagelschauer rechts ranfahren. Und der Sturm am Freitag hat auf der Hochfläche „alles weggefegt“. Woanders war es also auch scheiße. 

Heute ist alles anders: Der Himmel hat große blaue Flecken, die Sonne zeigt sich endlich wieder, die Vögel zwitschern fröhlich. Was für ein Traumstart in die 4. Etappe!


Bis zur Bananenpause am Europadenkmal haben wir auf 16,5 Kilometern schon 400 Höhenmeter zurückgelegt. Die Sonne blieb leider ein kurzes Vergnügen, mittlerweile ist es wieder gewohnt kalt, windig und grau. Aber immerhin regnet es nicht. 

Für die bisherigen Strapazen werden wir durch eine traumhafte Abfahrt von Berus in und durch den Beruser Wald belohnt. Bei Wald wird es die nächsten Stunden bleiben: fast 30 Kilometer lang führt der Saarland-Radweg mit vielen Schlenkern und Schleifen überwiegend durch den Staatsforst „Der Warndt“. Vorher geht es noch durch den Ort Überherrn – so könnte der nächste Roman von Juli Zeh heißen. Das „Gasthaus zum Wutzen-Wulli“ könnte auch im Buch so heißen. 

Nach einem kurzen Stopp an einem länglichen See, zu dem wir einen relativ sinnlosen Schlenker fahren, wird es für mich recht anstrengend. Meine Räder wollen sich lieber im klebrigen Waldweg eingraben als sich schnell fortzubewegen. Julias Rad scheint hingegen geradezu über den Matsch zu schweben. So ein moderner Elektromotor ist halt doch besser als ein alter Kalorienverbrenner, der stinkende Fürze fabriziert statt bergauf schnell beschleunigen zu können...

Am „Warndt-Canyon“ machen wir Mittagspause. Wir nutzen zum ersten Mal auf dieser Reise die Sonnencreme und sind begeistert von der Aussicht in die alte Sandfördergrube. What a beautiful manscape. 

Auch die Weiterfahrt ist schön und abwechslungsreich. Von einzelnen Hotspots wie dem Wildgehege abgesehen ist im Wald wenig los. Nicht verwechseln: das erste Foto zeigt die Wildschweine, das zweite Foto zeigt mich.

Der Saarland-Radweg macht einen kurzen Schlenker durch Petite-Rosselle. Man fährt über die französische Grenze - und BÄHM! ist alles abgerockt, dreckig, verranzt. Absurde Kreisverkehrskunst, ungepflegte Autos und eine sympathische Boulangerie: Frankreich im Kleinformat.

Zurück in Deutschland gibt's die volle Dröhnung Industriekultur: Erlebnisbergwerk Velsen, ein verfallener ehemaliger Güterbahnhof - und schließlich the one and only: die Völklinger Hütte. Im UNESCO-Welterbe machen wir Kaffeepause und ignorieren, dass es mittlerweile wieder angefangen hat zu regnen.


Die letzten Kilometer an der Saar entlang sind genauso einfach wie langweilig. Die Überdachung des Radwegs durch die Autobahn ist durchaus praktisch. Gleichzeitig ist die Autobahn, die uns bis in die Innenstadt begleitet, ein Vorgeschmack darauf, WIE autogerecht ausgebaut Saarbrücken ist. Vorher-Nachher-Bilder der Stadt (vor dem 2. Weltkrieg / nach den Zerstörungen durch die Nachkriegs-Stadtplaner) tun richtig weh.

Aufgrund des Regens verschieben wir die Stadtbesichtigung auf nach der Dusche und checken erstmal im wunderschönen InterCity-Hotel ein. Die verschmutzen Fahrräder kommen in den „Kofferraum“.

Ein paar schöne Ecken sind in Saarbrücken erhalten geblieben, vor allem rund um den St. Johanner Markt und das Nauwieser Viertel (letzteres ist seit kurzem eine Fahrradzone). Wir schlendern am Abend durch die beiden schönen Viertel, unterbrochen durch einen leckeren Burger mit karamellisierten Maroni und Trüffelmayonnaise sowie durch ein Karlsberger Kellerbier – aufgrund des starken Regens mussten wir schnell in eine Kneipe fliehen…

Auf einem autobahnbegleitendem Radweg radeln wir am Montagmorgen aus Saarbrücken raus und im Dauerregen an der Saar entlang bis nach Sarreguemines. Ich freue mich sehr auf einen Caffè au Lait. Allein: Frankreich verschläft den Feiertag, in der gesamten Innenstadt hat nichts geöffnet außer zwei Blumenläden.

Auch ohne Koffeinschub geht es problemlos weiter - jetzt fahren wir nämlich nach Nordosten, und das heißt heute: Rückenwind! Noch ein paar Orte in Frankreich, dann geht es ans deutsche Ufer der Blies.
Nach den einzig zwei nennenswerten Hügelchen des Tages wechseln wir ein letztes Mal nach Frankreich. Die Grenzübertritte merkt man immer sofort: die Saarländer sind freundlich und grüßen, die Franzosen sind unfreundlich und grüßen nicht…

In Bliesbruck beginnt das Highlight des Tages: Bahntrassenradeln mit Rückenwind auf der Trasse der früheren Bliestalbahn. Wir fliegen förmlich nach Blieskastel. 

In der hübschen Barockaltstadt müssen wir feststellen, dass es auch in Deutschland am Ostermontag nicht einfach ist, geöffnete Gastronomiebetriebe zu finden. Der Dönermann rettet uns! Während die Fahrräder draußen im immer stärker werdenden Regen stehen, lassen wir uns von warmem Essen und Ayran verwöhnen. Ein Drei-Sterne-Restaurant könnte uns jetzt nicht glücklicher machen als dieser Schnellimbiss. 

Weil wir heute so schnell unterwegs sind – um 12:30 Uhr sind wir immerhin schon 50 Kilometer gefahren – schauen wir mal nach, ob es auch einen Zug geben würde, der eine Stunde früher in Homburg startet als der, den wir uns gestern Abend rausgesucht haben. Gibt es leider nicht. Aber vor allem: den, den wir uns rausgesucht haben, gibt es auch nicht mehr! Die Bahn hat mal wieder über Nacht den Fahrplan geändert, der Ersatzbus nimmt keine Fahrräder mit. Alle anderen Verbindungen sind irgendwie bescheuert – außer, wir schaffen es zwei Stunden früher nach Homburg, also schon um 14:09 Uhr. Das sind noch 50 Minuten. Für 15 Kilometer. Wir haben keine Chance, das zu schaffen. Also nutzen wir sie. Mit Vollkaracho und großem Spaß heizen wir durch den Regen und durch monströse Pfützen.

Man kann jetzt nicht sagen, dass wir das Finale im Homburg, wo sich der Kreis des Saarland-Radwegs für uns schließt, genießen. Aber wir feiern es. Der Zug hat zum Glück minimal Verspätung und die Türen sind noch geöffnet, als wir am Bahnsteig ankommen. Wir quetschen uns in den völlig überfüllten Zug, wischen uns Regen und Schweiß von der Stirn und verwirren die Mitreisenden mit unserer guten Laune. Großartig! We made it!

Die Rückfahrt verläuft sehr entspannt, mit nur zweimal Umsteigen (Mannheim und Heilbronn). Wir unterhalten uns mit Gravelbikern, die aus der Schweiz ins Saarland geradelt sind. Und suchen unter unserem Sitz den 100 €-Gutschein der Oster-Promo-Aktion. Damit sitzen wir einem Aprilscherz auf. Gemein. Aber lustig. Ebenfalls gemein: das Wetter daheim ist gut. Also ganz anders als im Saarland. Trotz Regen war es eine wunderschöne fünftägige Radreise. Und jetzt ein letztes Mal: große Vorfreude auf die warme Dusche. Heute zusätzlich auf die Waschmaschine. Und auf den Tatort.