Dienstag, 20. September 2016

Vor lauter Bier den Wald nicht sehen

Der Freund einer guten Freundin arbeitet „bei der Forst“, hat sie mir kürzlich berichtet. Auf der Leinwand meines Kopfkinos sehe ich einen jungen Mann zwischen Braukessel und Abfüllanlage stehen, umhüllt von einem Duft nach geröstetem Malz und Hopfenextrakt. In meinen Gedanken arbeitet der Freund der Freundin bei der Brauerei Forst, in Südtirol weltberühmt und auch außerhalb Südtirols nicht mehr ganz unbekannt, seit Til Schweiger in Venedig einen Horst bestellt hat. Honig im Kopf und Bier im Bauch. 

Aber nichts da: Der Freund der Freundin arbeitet keineswegs in der größten Brauerei Südtirols, er arbeitet im Wald. Er arbeitet also genaugenommen nicht bei der Forst, sondern im Forst. Er arbeitet für die Forstverwaltung, und in Südtirol sagt man dazu eben „bei der Forst“.

Er ist Angestellter „in der Forstwirtschaft“ würde man hochdeutsch wohl eher sagen. Mit der Wirtschaft hat sein Job schon auch zu tun, die kurbelt er ja an, indem er mit Kurbel, Axt oder Säge durch den Forst marschiert. Er kümmert sich darum, dass es dem Wald gut geht. Und wenn es dem Wald gut geht, geht es den Menschen gut. Der Wald produziert Sauerstoff und Holz, er garantiert Lebensqualität und erfüllt eine Erholungsfunktion. Mal ganz abgesehen davon, dass er der Lebensraum unzähliger Tier- und Pflanzenarten ist.

Wald ist also eindeutig wichtiger als Bier. Der Forst ist wichtiger als die Forst. Warum denke ich dann bei „bei der Forst arbeiten“ trotzdem sofort an Bier? Bin ich von Bierwerbung durchdrungen und vom Marken-Marketing vernebelt? Diskriminiere ich Wald und Waldarbeiter, wenn ich bei Forst nur an Bier denke? Sollte man mehr Product Placement, virales Marketing und Brand Management für den Wald machen? Angenommen, Til Schweiger würde in seinem nächsten Film fragen, ob es denn hier irgendwo einen Forst gebe, er müsse nämlich unbedingt mal wieder den Kopf freikriegen und wolle den Duft nach Wacholder und den Klang der Vögel einsaugen – werde ich dann bei „Forst“ zukünftig nicht mehr nur an Braukessel und Abfüllanlagen, sondern an Wanderwege und nachwachsende Rohstoffe denken?

Bevor ich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehe, sollte auch ich am besten mal wieder einen Waldspaziergang machen. Dann könnte ich auch in eine schöne, gemütliche Forstwirtschaft einkehren. Sagt man das so, Forstwirtschaft? Vielleicht sollte man besser das wunderschön altmodische Wort „Waldschenke“ verwenden? Wobei einem in der Waldschenke ja auch nichts geschenkt wird. Höchstens eingeschenkt. Ein Forst zum Beispiel.


Prost.
Dieser Artikel wurde in der Straßenzeitung Zebra (Ausgabe September 2016) veröffentlicht.
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