Montag, 4. Juli 2022

Mit dem 9-Euro-Ticket durch Sachsen

Die Pioniereisenbahner nehmen ihren Job ernst. Sehr ernst sogar. Es herrscht eine strenge Arbeitsteilung zwischen Fahrkartenverkäufern, Fahrkartenkontrolleuren auf dem Bahnsteig, Fahrdienstleiterinnen, Schrankenwärtern, Helferinnen an unbeschrankten Bahnübergängen und Lokführer. Der Lokführer ist der einzige Erwachsene, alle anderen sind schulpflichtig. Und merklich stolz auf das, was sie hier im Küchwaldpark nachmittags und am Wochenende leisten.

Was sich heute „Parkeisenbahn Chemnitz“ nennt, wurde 1954 als „Pioniereisenbahn Karl-Marx-Stadt“ gegründet. Es steckt auch heute noch viel DDR in diesem grundsympathischen Betriebskonzept. Chemnitz, Plauen, Gera, Leipzig, Dresden, Berlin: in vielen ostdeutschen Städten gibt es Parkeisenbahnen, die mal Pioniereisenbahnen waren. Die in Plauen, Chemnitz und Dresden habe ich auf meiner „9-Euro-Ticket-Reise“ durch Sachsen er-fahren, auch wenn das 9-Euro-Ticket bei den Parkeisenbahnen gar nicht gültig ist. Aber ich finde, diese originellen Bähnchen haben es verdient, dass man für sie extra zahlt. 

Plauen

Chemnitz   
Dresden

In vielen anderen, „ganz normalen“, aber auch reichlich extravaganten Bussen und Bahnen in Sachsen ist das 9-Euro-Ticket gültig – und hat mir somit eine wunderbare, spontan geplante mehrtägige Reise durch den Freistaat beschert. Während rund um die großen Verlagshäuser in Hamburg, Köln und München die Züge überfüllt sind, weil die ganzen Journalisten mitfahren, die zum ersten Mal in ihrem Leben Regionalzüge von innen sehen und vom „völligen Chaos“ berichten, bekomme ich zwischen Zwickau und Zittau auch im Juni 2022 immer einen freien Sitzplatz. Von einem folgenschweren Zugausfall in Cranzahl abgesehen, sind die Züge auch fast immer pünktlich und zuverlässig. Davon kann in vielen anderen Bundesländern mit ihren überlasteten Bahnnetzen derzeit wahrlich nicht die Rede sein...

Sachsen ist ein wunderbares Bahnland mit viel Kulturerbe und noch mehr schöner Natur. Beides erlebe ich während meiner Reise. Ich stelle fest, 

  • dass Meißen so ist wie Bamberg, nur ohne die vielen Brauereien;
  • dass die Dresdner Neustadt ist so ist wie das Berlin der 0er Jahre, nur ohne Hundescheiße;
  • dass das Erzgebirge so ist wie der Schwarzwald, nur weniger überlaufen;

  • dass die Elbe ein echter, fließender Fluss ist und kein langweiliger staustufenregulierter Kanal wie Neckar, Main & Co;

  • dass es spannende Industriekultur nicht nur im Ruhrgebiet gibt, sondern auch in Chemnitz; 

  • dass Görlitz völlig zu Recht häufig als Filmlocation ausgewählt wird und

  • dass man in Annaberg-Buchholz richtig leckeren Kaffee trinken kann.


 

Ein paar Highlights, die ich mit dem 9-Euro-Ticket erlebt habe:

  • Mit drei verschiedenen dampfbetriebenen Schmalspurbahnen (Fichtelbergbahn, Weißeritztalbahn, Lößnitzgrundbahn) fahren, teilweise sogar im offenen Wagen
 

 
 

  • Mit dem Bus im Stau stehen und neidisch auf die fahrende Dampflok blicken

  • In Zwickau mit einem normalspurigen Eisenbahn-Triebwagen (auf einem Dreischienengleis) über das schmalspurige Straßenbahnnetz fahren

  • Mich auf dem Weg „nach den Bahnsteigen“ im Zwickauer Hauptbahnhof fragen, ob das wirklich ein Bahnhof ist oder doch ein Museum

  • Mir im Bahnhof von Kurort Kipsdorf dieselbe Frage stellen
  • Mit einem Kleinbus eine Stadtführung durch Meißen machen und beim langsamen Vorbeifahren den Hinweis des Fahrers beachten, dass man sich im 2. Fenster der Konditorei den Meißener Fummel anschauen kann

  • Vom Triebwagen der Erzgebirgsbahn mit „Glück auf!“ begrüßt werden

  • … vom Doppelstockzug der Dresdner S-Bahn hingegen mit „Guten Morgen“ begrüßt werden

  • Über die größte Ziegelstein-Brücke der Welt, die Göltzschtalbrücke, fahren (aber leider den passenden Moment für ein gutes Foto verpassen)
  • In Plauen beobachten, dass auch in modernen Niederflur-Straßenbahnen Sand für die Bremsen nachgefüllt werden muss - und zwar mit der Gießkanne
  • In Hainichen in einen dieselbetriebenen Zug einsteigen, der sich in der Chemnitzer Innenstadt in eine elektrische Straßenbahn verwandelt 


  • Den 220 Mio. € teuren Dresdner Flughafen bereisen, an dem am Bereisungstag genau 13 Flüge abgehen, davon drei nach Mallorca und sechs weitere Inlandsflüge
  • Mit der (45 m langen) ehemals längsten Straßenbahn der Welt an den Stadtrand von Dresden fahren

  • … und dort von einem Schienenschleifwagen überrascht werden

  • Zwischen Zittau und Görlitz plötzlich an einem polnischen Bahnhof halten

  • In einer alten Tatra-Straßenbahn durch Görlitz schaukeln  
 
 
  • Das Einkaufszentrum Lausitz-Center, laut Google Maps der einzige „belebte Ort“ in Hoyerswerda-Neustadt, aufsuchen. Es ist (innen) tatsächlich belebt - aber was für gelernte DDR-Bürger bei der Eröffnung am 31. August 1995 eine beeindruckende neue Welt gewesen sein muss, wirkt heute wie ein etwas aus der Zeit gefallenes 90er Jahre-Museum, während Hoyerswerdas Altstadt zeitlos schön ist
  • Auf der „Sächsischen Semmeringbahn“ durch die Sächsische Schweiz fahren – und die mitreisende Schulklasse schreien hören, als im Tunnel plötzlich das Licht ausgeht

  • Hinter dem Lokführer die Fahrt durch das Elbtal Richtung Tschechien genießen. 


Mich zieht es nun weiter über die Grenze, ich will auf dem Heimweg in den Südwesten noch Most, Pilsen und meine Verwandtschaft in der Oberpfalz besuchen. Dabei könnte man mit dem 9€-Ticket in Sachsen noch viel mehr erleben: Mit der Straßenbahn durch das wunderbare Leipzig gurken; auf der Döllnitztalbahn Schülerverkehr auf einer Schmalspurbahn erleben; alte Schlösser an Mulde und Elbe besichtigen; mit historischen Straßenbahnen durch das Kirnitzschtal fahren; mit der Drahtseilbahn zum Schloss Augustburg gondeln. Manche Fähren sind ebenfalls mit dem 9€-Ticket nutzbar, die Pferdebahn in Döbeln hingegen nicht. Der MDR hat eine hilfreiche Übersicht erstellt, wo das Ticket gilt und wo nicht.

Man sollte übrigens genau aufpassen, immer mit einem gültigen Fahrschein unterwegs zu sein. Und eine Bestätigung des heimischen Verkehrsverbundes dabei haben, dass die Plastikkarte mit dem in Sachsen unbekannten Verkehrsverbundlogo tatsächlich eine gültige Jahreskarte, also ein 9€-Ticket, ist. Meine „polygoCard“ hat mit den Schaffnerinnen und Schaffnern in Sachsen zu unterhaltsamen Gesprächen, Gelächter und kritischen Nachfragen geführt. Aber niemand hat mein Ticket einfach so durchgewunken, wie ich es in Nordrhein-Westfalen und Bayern schon erlebt hatte. Die Schaffnerinnen und Schaffner in Sachsen nehmen ihren Job offenbar ernst. Sehr ernst sogar. Man ahnt, wo sie das gelernt haben.

Das Fotoalbum der Reise findet man hier.

4 Kommentare:

  1. Bist du im Bautzner Tor in Dresden auch eingekehrt oder hast es nur fotografiert?
    Viele schöne Bilder jedenfalls, die mich an meine Studienzeit in Dresden erinnern =)

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    1. Ich war vorher beim Dicken Schmidt eingekehrt, das Bautzner Tor noch auf der Liste für den nächsten Besuch

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  2. In wieviel Tagen hast du eigentlich die ganzen verkehrlichen und kulturellen Highlights erlebt?

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    1. In 7 Tagen. Wäre aber gerne nochmal genauso lange geblieben.

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