Montag, 13. November 2023

Stern & Hafferl & Co. - Bahnwochenende in Oberösterreich

 „Nächster Halt: Uhingen. Ausstieg in Fahrtrichtung rechts.“ Die Ortsnamen sind wieder vertraut, ich nähere mich Esslingen und freue mich auf mein eigenes Bett.

Die letzten drei Nächte habe ich im Hotel Auerhahn in Vöcklabruck verbracht und von dort aus mit drei (Ex-)Südtirolern oberösterreichische Bimmelbahnen abgeklappert. Die erste Bimmelbahn war die Linzer Lokalbahn (LiLo). Wir haben in Neumarkt-Kallham den Triebwagen betreten und an der Zugspitze einen ovalen Tisch mit Sitzgruppe drum herum vorgefunden: Ein richtig schönes Wohnzimmer. Zudem fast leer, nur ein Mann hat seine Schuhe ausgezogen und fläzt gemütlich auf der Eckbank. Der Mann ist der Lokführer. Erschrocken setzt er sich aufrecht hin und zieht die Schuhe an. Wir beruhigen ihn, dass er gerne liegen bleiben darf. Aber die Beruhigung kommt zu spät: Blitzschnell verwandelt er sich in einen Fahrkartenkontrolleur ("habt ihr oder braucht ihr?"), bevor er das Führerhaus betritt und den Triebwagen sanft in Bewegung setzt.




 

In Niederspaching ist Endstation, der Zug pendelt zurück nach Neumarkt-Kallham. Außer uns ist eine fünfte Person ausgestiegen, die in den Anschlusszug nach Linz einsteigt. Wir hingegen warten im Regen auf den Anschlusszug nach Peuerbach, wir wollen ja das gesamte „Netz“ der LiLo abgrasen. Unser Lokführer-Schaffner macht die Tür auf und bietet uns an, dass wir auch im trockenen Zug warten können. Das Angebot nehmen wir gerne an.

So modern und sauber der Stadtler-GTW auch ist: Der Bahnhof Niederspaching ist noch gute alte Eisenbahn. Holzschwellen, hölzerne Fahrleitungsmasten, über Holzbretter das Nachbargleis überqueren. Fast schade, dass wir das Idyll verlassen müssen, als der Anschlusszug nach Peuerbach herantuckert. 

 

Ein paar Stunden später finden wir uns auf der Almtalbahn wieder. Der alte Triebwagen müht sich ganz schön ab, immer wieder jault der Motor auf. Der Lokführer hat Probleme, Traktion auf das nasse Gleis zu bringen. Die Einrichtung stammt aus den 80ern, die Fenster lassen sich weit öffnen, die Reise durch das neblige Herbsttal ist eine wahre Zeitreise. „Hot die Hittn a Steckdosn?“ fragt ein Mann, der am Endbahnhof Grünau einsteigt. Nein, die Hütte hat keine Steckdose. Aber sie hat uns bequem und pünktlich ins Almtal gebracht.



Bei den „Almwirtinnen“ wärmen wir an der Espressotasse unsere Finger und vergessen den Novemberregen. Wir genießen das Ambiente und den Humor der Wirtin, bis wir zum Bus nach Gmunden aufbrechen müssen. Abendessen in Bad Ischl, zweite Übernachtung in Vöcklabruck, am nächsten Morgen geht’s dann mit besserem Wetter weiter.






Das kleine Züglein von Stern&Hafferl wartet schon am abseits gelegenen Bahnsteig 11 des Bahnhofs Lambach. Westwaggon in Köln hat diese Schüssel 1953 gebaut. Die Firma gibt es seit 1959 nicht mehr, der Triebwagen fährt noch heute. Die Heizung knistert, irgendein elektrisches Gerät brummt, der Lokführer telefoniert. Und dann ist es so weit: Um 10:43 Uhr geht es los. Der Zug beschleunigt auf 40 km/h und entfernt sich in einem 180-Grad-Bogen von der Westbahn. Am Horizont blickt man auf schneebedeckte Gipfel im Toten Gebirge. -1° C kalt war es heute Morgen in Vöcklabruck. An den bollernden Heizkästen unter den Sitzen kann man die Füße wärmen. Wir vier und drei weitere Fahrgäste verteilen sich im Wagen. Der erste Zwischenhalt, Stadl Paura, ist so schön, wie er heißt. Das Stellwerk ist noch älter als der Triebwagen. Bauarbeiter modernisieren irgendwas. Hoffentlich modernisieren sie nicht zu viel. 





Der Zug hat seine beste Zeit hinter sich. Die Tische an den Fenstern wurden abmontiert, die Sitzpolster fransen aus, der Lack an der Decke platzt auf. Vielleicht finde ich den Triebwagen 20.111 genau deshalb so toll. Es ist absehbar, dass er bald durch Neufahrzeuge ersetzt wird. Eine Bahnreise zu den oberösterreichischen Bimmelbahnen lohnt sich also zeitnah.

„Achtung: schnellwirkende Notbremse – festhalten“; „Vorsicht in Türnähe - Türen werden durch Druckluft betätigt“; „Bei Gefahr Nothahn auf Handbetrieb stellen und Türen beim Stillstand des Wagens öffnen“. Ob man in Notfall in der Lage wäre, all die Hinweisschilder im Türbereich schnell genug zu lesen?

Die Fahrt endet am Bahnhof Vorchdorf. Wir landen im Pufferküsser-Paradies: Stern&Geraffel, äh, Stern&Hafferl, hat hier Fahrzeuge rumstehen, die anderswo längst verschrottet wurden. Hier stehen sie zumindest im Schülerverkehr noch im Einsatz. Der alte Lohner-Triebwagen der Gmundener Straßenbahn mit der McDonald's-Werbung erinnert mich daran, dass ich 2008 mal mit ihm gefahren bin. Er war damals schon alt. Seit 2018 die Gmundener Straßenbahn mit der Lokalbahn Gmunden-Vorchdorf zur Traunseetram verbunden wurde, ist er nur noch als Nostalgiefahrzeug ab und an im Dienst; eine krokodilartige Elektrolok lächelt mich an; die ex Köln-Frechener Westwaggon-Triebwagen, Baujahr 1953, begeistern mich. Das Vorfeld der Vierschienen-Wartungshalle zeigt aber, dass es für uns gleich modern weiter geht: mit einem Tramlink der Traunseetram. Eine Straßenbahn mit Kopfstützen, Armlehnen und Steckdosen. Weniger historischer Charme für uns Touristen als gerade eben auf der Lokalbahn Lambach - Vorchdorf, aber ein komfortables Argument für die Einheimischen, auf das Auto zu verzichten.







Von Eisengattern bis Engelhof gibt es Busersatzverkehr, dort wartet dann der nächste Tramlink auf uns. Und das älteste erhaltene Bahnhofsgebäude Österreichs, das 1836 im Zuge der Pferdeeisenbahn Budweis - Linz - Gmunden errichtet wurde. 

Die Kuferzeile in Gmunden ist eine Einbahnstraße. Ausgenommen laut Verkehrsschild: die Straßenbahn. Mit 10 % Steigung schleicht der Tramlink die enge Straße hinauf, der digitale Tacho zeigt maximal 20 km/h. Die niedrigen alten Häuser am Straßenrand zeugen von einer prächtigen kaiserlich-königlichen Vergangenheit. Viel zu schnell erreicht die moderne Tram ihre moderne Endhaltestelle am Gmundener Bahnhof. Hier besteht Anschluss an die Salzkammergutbahn, mit der wir jetzt bei strahlendem Sonnenschein den frisch geweißelten Bergen entgegen fahren. 







„Um Himmels Willen, tu des Handy raus! Letztes Mal hat's es da z'amgwixt!“ Ein letztes Mal fahren wir in einem Intercity-Bordbistro der Deutschen Bahn, bevor diese im Dezember ausgemustert werden. Von der Steckdosennutzung wird uns allerdings eindringlich abgeraten. Nicht nur der Waggon, auch die Verkäuferin stammen aus Deutschland, obwohl der Zug nur von Salzburg nach Graz fährt. Aber ich denke nicht über internationale Umlaufpläne nach, sondern darüber, dass der DB-Kaffee irgendwie leckerer schmeckt, wenn man ihn mit Blick auf den Dachstein genießt. 




Es gibt in Österreich viele schöne Bahnhöfe. Selzthal ist einer der schönsten. Rudolfsbahn, Phyrnbahn und Ennstalbahn treffen hier aufeinander. 1872 wurde der Bahnhof eröffnet, die Ortschaft drumherum ist erst danach entstanden, ein typischer Eisenbahnerort. In seiner heutigen Form ist das Bahnhofsgebäude nach 1906 entstanden. Die rote Eisenkonstruktion der Bahnsteigüberdachung, der Ringlokschuppen, der historische Warteraum, die 52er Dampflok neben dem Bahnhof: Hier schlägt das Eisenbahnerherz höher. Wir beobachten einen schweren Trafotransport sowie zwei Erzzüge aus Eisenerz und verabschieden unseren IC Richtung Graz. Für uns geht es im bequemen CRD CityShuttle (Lok-Baureihe: 1144) über die Phyrnbahn weiter nach Linz. Dort genießen wir syrisches Abendessen, in der Westbahn zurück nach Vöcklabruck genießen wir Ottakringer und Stiegl. 




 

4 °C, Wind und starker Regen sind eine unangenehme Mischung, deshalb verbringe ich die Wartezeit am nächsten Morgen lieber im Warteraum des Bahnhofs Attersee als am Ufer des größten ausschließlich in Österreich liegenden Sees. Im Warteraum wird die Geschichte der Bahn zum und der Schifffahrt auf dem Attersee erklärt. Und auch die Geschichte der Bahn auf dem Attersee: Güterwagen wurden einst per Trajekt zu einem Sägewerk gebracht. 



Die Atterseebahn ist die letzte Stern&Hafferl-Bahn, die an diesem Wochenende noch fehlte. Auf ihr fahren die selben modernen Tramlink-Wagen wie auf der Traunseetram. Die Landschaft ist schön, das Wetter nicht. 

Es beeindruckt mich, wie viele urige Lokalbahnen in Oberösterreich noch in Betrieb sind und in welchem Top-Zustand sich die Infrastruktur befindet. Ganz nebenbei bemerkt sind die Züge auch immer pünktlich. Das fällt einem nach ein paar Tagen in Österreich schon gar nicht mehr auf. So macht Bahnfahren Spaß.

Nach einer kurzen Talent-Episode auf der Westbahn (Toilettenmotiv: Zitronenbaum) starte ich die nächste Bahnfahrt in Attnang-Puchheim mit Telefon-Wahnsinn. Die eine erklärt am Telefon lautstark, wie man ein Bewerbungsgespräch führt, die andere tauscht mit einer alten Freundin Belanglosigkeiten aus. Ich versuche mich auf mein Hörbuch zu konzentrieren. „Ghost train to the eastern star“ im Ohr, den Hausruck vor dem Fenster. Paul Theroux reist im Hörbuch gerade durch den Norden Japans, aber so viel anders als hier in Oberösterreich schaut es da auch nicht aus. 

Bahn fahren, Landschaft schauen, Hörbuch hören. Morgen muss ich wieder arbeiten, heute genieße ich Schienenschläge statt Tastaturanschlägen und sammle im Innviertel noch ein paar Bahnstrecken.

Mein 5047er Triebwagen wurde 1987 in Jenbach geboren, ich wurde 1986 in Gelnhausen geboren. Der Triebwagen wirkt völlig aus der Zeit gefallen und erinnert an längst vergangene Zeiten. Ich hoffe auf mich trifft das noch nicht zu…

Umstieg in Schärding. Eigentlich wollte ich die Stadt besichtigen, aber darauf habe ich bei diesem Wetter definitiv keine Lust. Also nehme ich doch gleich den nächsten Zug nach Neumarkt-Kallham. Mal wieder beeindruckt mich, in welchem Topzustand die Bahnhöfe in Österreich sind. Egal ob Großstadtbahnhöfe wie Wien und Salzburg oder Kleinstadtbahnhöfe wie jetzt Schärding oder vorhin Attnang-Puchheim: Gefühlt ist hierzulande jeder zweite Bahnhof in den letzten 10 Jahren neu gebaut werden. Österreich investiert pro Jahr und Einwohner 319 € in die Eisenbahn, Deutschland 114 €. Das sieht man. 

Stadtbesichtigung verschiebe ich auf Ried im Innkreis, wenngleich das Wetter immer noch nicht besser ist. Auf dem Balkan sieht es oft aus wie in Österreich, in Ried im Innkreis ist es genau umgekehrt.


Auf der Innbrücke zwischen Braunau und Simbach verlasse ich Österreich und trete über Mühldorf und München die Heimreise an. Mühlkreisbahn, Donauuferbahn, die Summerauer Bahn, der Kammerer Hansl und natürlich das derzeit gesperrte Stück der Traunseetram warten noch darauf, von mir gesammelt zu werden. Das würde ein weiteres schönes Bahnwochenende in Oberösterreich ergeben. Aber jetzt: Uhingen. Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. Bald bin ich zurück in Esslingen. 



 

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