Donnerstag, 15. Dezember 2016

2016, ein Jahr zum Vergessen?

Wenn man sich die Jahresrückblicke 2016 in den deutschsprachigen Medien so anschaut und durchliest, bekommt man den Eindruck, dass die Apokalypse kurz bevorsteht. So wie jedes Jahr.

Aber vielleicht war 2016 ja gar nicht soo schlimm? Und da meine ich jetzt nicht mein persönliches Jahr 2016 – das privat, beruflich und überhaupt großartig war – sondern durchaus auch die große Politik:

Die Klimakonferenz in Marrakesch? Wird in den Jahresrückblicken gerne ausgeblendet. Dabei könnte es im Rückblick einmal durchaus eine Rolle spielen, dass 2016 beschlossen wurde, dass fast 50 Staaten der Erde ihre Energieversorgung bis 2050 komplett auf Erneuerbare umstellen wollen.

Alexander van der Bellen, ein grüner Pro-Europäer, ist (sogar zweimal!) zum neuen Präsident von Österreich gewählt worden? Ist in der ganzen Hofer-Hysterie fast komplett untergegangen.

Ok, Großbritannien wird die EU verlassen – aber waren sie eigentlich jemals wirklich drinnen?

Ok, Polen und Ungarn haben Regierungen, von denen man dachte, dass es sie in der EU nicht mehr geben würde – aber das zeigt ja überhaupt erst, an welch hohes Niveau wir uns mittlerweile gewöhnt haben. Vor dreißig Jahren hätte man in Osteuropa noch gar keine Pressefreiheit einschränken können.

Ok, Mc‘Donald Duck Trump wird jetzt wirklich US-Präsident. Aber hey, dieses großartige Land hat zweimal George Bush überlebt, da wird es ja wohl auch einmal Donald Trump überleben. Nach George Bush kamen Bill Clinton respektive Barack Obama – da freut man sich doch schon richtig auf den nächsten demokratischen (im wahrsten Sinne des Wortes) US-Präsidenten. Oder US-Präsidentin (warum nicht Michelle Obama? Oder doch Claire Underwood?).

Ok, die AFD ist in Sachsen-Anhalt zur zweitstärksten Kraft geworden. Und SPD und CDU werden gemeinsam mit der heutigen Rentner-Generation und den heutigen Leitindustrien aussterben, wenn sie sich weiterhin nur um deren kurzfristige Interessen kümmern. Aber hat nicht der Aufstieg der AFD dazu geführt, dass im eingelullten Muttiland endlich wieder einmal über Politik debattiert und für wichtige Themen und nicht nur für Fußballländerspiele auf die Straße gegangen wird? Haben wir 30-jährigen, die wir unter Schröder und Fischer politisiert wurden, uns nicht jahrelang gewünscht, dass Politik wieder so spannend wird wie vor Merkel? Jetzt haben wir den Salat. Aber wir können ihn gemeinsam auslöffeln und durch schwierige Diskussionen und langwierige Überzeugungsarbeit zeigen, dass der rechte Weg nicht der Rechte ist.

Ok, Renzi hat das Referendum und Italien damit den wohl besten Regierungschef seit Jahrzehnten verloren. Aber die Art und Weise, wie interessiert und intensiv die durchaus komplexen Inhalte des Referendums im Vorfeld diskutiert wurden, haben meinen Glauben an die direkte Demokratie gestärkt. Und die Demokratie in Italien auch.

Ok, es gab 2016 grauenhafte Terroranschläge. Man hätte sich aus so schönen Städten wie Nizza und Istanbul positivere Nachrichten gewünscht als die von Terroranschlägen (und vom Amoklauf eines AFD-Sympathisanten in München hätte man sich gar keine Terroranschlag-Nachrichten gewünscht, aber die schnellste Push-Meldung ist eben doch wichtiger als ein Innehalten, bis man den Sachverhalt richtig einordnen kann). Jedes Terroropfer ist eines zu viel. Aber den hunderten Terroropfern stehen hunderttausende Opfer gegenüber, die jedes Jahr an den Folgen der Luftverschmutzung sterben. Und 2016, das Jahr des VW-Skandals, könnte im Rückblick als das Jahr gelten, in dem auch die europäischen Politiker und Autohersteller endlich aufgewacht sind und gemerkt haben, dass die Gesundheit der Menschen wichtiger ist als der kurzfristige Gewinn durch den Verkauf von Dieselmotoren. Stickoxide sind deutlich gefährlicher als Muslime. Das wussten wir in unserer akademischen Echokammer schon vorher, aber die Skandale des Jahres 2016 haben diese Erkenntnis einem breiten Publikum zugänglich gemacht.

Echokammer hätte das Wort des Jahres werden können. Postfaktisch ist es geworden. Wahrscheinlich auch dank Jan Böhmermann. Schön, dass es diesen Böhmermann gibt. Und dass er 2016 eine Staatskrise ausgelöst hat, die an Absurdität nicht zu überbieten war. Schön, dass es die ZDF Mediathek gibt, die uns unsere Lieblingssendungen schauen lässt, wann wir das wollen und nicht, wann es der Programmdirektor vorsieht. Schön, dass es Netflix gibt. Und Nextbike. Und Netzwerke. Schön, dass es immer mehr freies W-Lan gibt. Und ein allgemeines freies Wahlrecht. Auch wenn uns der Ausgang der Wahlen nicht immer schmeckt. Aber Geschmäcker sind verschieden.

Nach meinem Geschmack war 2016 gar nicht soo schlimm.


Dieser Jahresrückblick stammt aus unserem neuen WG-Blog http://thebattleofblogs.blogspot.it/ 

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