Wenn man sich die Jahresrückblicke 2016 in den deutschsprachigen
Medien so anschaut und durchliest, bekommt man den Eindruck, dass die
Apokalypse kurz bevorsteht. So wie jedes Jahr.
Aber
vielleicht war 2016 ja gar nicht soo schlimm? Und da meine ich jetzt
nicht mein persönliches Jahr 2016 – das privat, beruflich und überhaupt
großartig war – sondern durchaus auch die große Politik:
Die
Klimakonferenz in Marrakesch? Wird in den Jahresrückblicken gerne
ausgeblendet. Dabei könnte es im Rückblick einmal durchaus eine Rolle
spielen, dass 2016 beschlossen wurde, dass fast 50 Staaten der Erde ihre
Energieversorgung bis 2050 komplett auf Erneuerbare umstellen wollen.
Alexander
van der Bellen, ein grüner Pro-Europäer, ist (sogar zweimal!) zum neuen
Präsident von Österreich gewählt worden? Ist in der ganzen
Hofer-Hysterie fast komplett untergegangen.
Ok, Großbritannien wird die EU verlassen – aber waren sie eigentlich jemals wirklich drinnen?
Ok,
Polen und Ungarn haben Regierungen, von denen man dachte, dass es sie
in der EU nicht mehr geben würde – aber das zeigt ja überhaupt erst, an
welch hohes Niveau wir uns mittlerweile gewöhnt haben. Vor dreißig
Jahren hätte man in Osteuropa noch gar keine Pressefreiheit einschränken
können.
Ok, Mc‘Donald Duck Trump wird jetzt wirklich
US-Präsident. Aber hey, dieses großartige Land hat zweimal George Bush
überlebt, da wird es ja wohl auch einmal Donald Trump überleben. Nach
George Bush kamen Bill Clinton respektive Barack Obama – da freut man
sich doch schon richtig auf den nächsten demokratischen (im wahrsten
Sinne des Wortes) US-Präsidenten. Oder US-Präsidentin (warum nicht
Michelle Obama? Oder doch Claire Underwood?).
Ok, die
AFD ist in Sachsen-Anhalt zur zweitstärksten Kraft geworden. Und SPD und
CDU werden gemeinsam mit der heutigen Rentner-Generation und den
heutigen Leitindustrien aussterben, wenn sie sich weiterhin nur um deren
kurzfristige Interessen kümmern. Aber hat nicht der Aufstieg der AFD
dazu geführt, dass im eingelullten Muttiland endlich wieder einmal über
Politik debattiert und für wichtige Themen und nicht nur für
Fußballländerspiele auf die Straße gegangen wird? Haben wir 30-jährigen,
die wir unter Schröder und Fischer politisiert wurden, uns nicht
jahrelang gewünscht, dass Politik wieder so spannend wird wie vor
Merkel? Jetzt haben wir den Salat. Aber wir können ihn gemeinsam
auslöffeln und durch schwierige Diskussionen und langwierige
Überzeugungsarbeit zeigen, dass der rechte Weg nicht der Rechte ist.
Ok,
Renzi hat das Referendum und Italien damit den wohl besten
Regierungschef seit Jahrzehnten verloren. Aber die Art und Weise, wie
interessiert und intensiv die durchaus komplexen Inhalte des Referendums
im Vorfeld diskutiert wurden, haben meinen Glauben an die direkte
Demokratie gestärkt. Und die Demokratie in Italien auch.
Ok,
es gab 2016 grauenhafte Terroranschläge. Man hätte sich aus so schönen
Städten wie Nizza und Istanbul positivere Nachrichten gewünscht als die
von Terroranschlägen (und vom Amoklauf eines AFD-Sympathisanten in
München hätte man sich gar keine Terroranschlag-Nachrichten gewünscht,
aber die schnellste Push-Meldung ist eben doch wichtiger als ein
Innehalten, bis man den Sachverhalt richtig einordnen kann). Jedes
Terroropfer ist eines zu viel. Aber den hunderten Terroropfern stehen
hunderttausende Opfer gegenüber, die jedes Jahr an den Folgen der
Luftverschmutzung sterben. Und 2016, das Jahr des VW-Skandals, könnte im
Rückblick als das Jahr gelten, in dem auch die europäischen Politiker
und Autohersteller endlich aufgewacht sind und gemerkt haben, dass die
Gesundheit der Menschen wichtiger ist als der kurzfristige Gewinn durch
den Verkauf von Dieselmotoren. Stickoxide sind deutlich gefährlicher als
Muslime. Das wussten wir in unserer akademischen Echokammer schon
vorher, aber die Skandale des Jahres 2016 haben diese Erkenntnis einem
breiten Publikum zugänglich gemacht.
Echokammer hätte
das Wort des Jahres werden können. Postfaktisch ist es geworden.
Wahrscheinlich auch dank Jan Böhmermann. Schön, dass es diesen
Böhmermann gibt. Und dass er 2016 eine Staatskrise ausgelöst hat, die an
Absurdität nicht zu überbieten war. Schön, dass es die ZDF Mediathek
gibt, die uns unsere Lieblingssendungen schauen lässt, wann wir das
wollen und nicht, wann es der Programmdirektor vorsieht. Schön, dass es
Netflix gibt. Und Nextbike. Und Netzwerke. Schön, dass es immer mehr
freies W-Lan gibt. Und ein allgemeines freies Wahlrecht. Auch wenn uns
der Ausgang der Wahlen nicht immer schmeckt. Aber Geschmäcker sind
verschieden.
Nach meinem Geschmack war 2016 gar nicht soo schlimm.
Dieser Jahresrückblick stammt aus unserem neuen WG-Blog http://thebattleofblogs.blogspot.it/
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