Mittwoch, 28. Dezember 2016

Wenn die Post nicht abgeht

Ich hab mich letztens gefragt, wo das Sprichwort „die Post geht ab“ herkommt. Ein Sprichwort mit einer solch dynamischen Bedeutung kann ja wohl nichts mit der Post zu tun haben. Denn hier in Südtirol geht die Post eher langsam ab. Eher ist es so, dass mir die Post abgeht, wenn ich mal wieder wochenlang auf ein Paket warte.

Mein digitaler Posteingang ist zwar ständig voll, der Briefkasten hingegen ist meistens leer. Mein Spiegel-Abo hab ich kürzlich auch auf digital umgestellt, weil es relativ witzlos ist, zwei Tage vor dem Erscheinen der nächsten Ausgabe endlich die alte Ausgabe aus dem Briefkasten fischen zu können. Nichts ist älter als die Zeitung von gestern? Doch, die von vor fünf Tagen! In Deutschland erscheint der Spiegel am Samstag, meinen Briefkasten erreichte er meist am folgenden Donnerstag. 100 Kilometer Luftlinie sind es von der deutschen Grenze zu meinem Bozner Briefkasten, fünf Tage braucht die italienische Post dafür. Das sind 20 Kilometer pro Tag. Oder 833 Meter pro Stunde. Die Postkutschen, die zu Goethes Zeiten über den Brenner geritten wurden, waren deutlich schneller unterwegs. „Jede Flaschenpost ist schneller als die Flaschen von der Post“, würde mein Mitbewohner sagen.

Man stelle sich vor, man müsste E-Mails mit der italienischen Post verschicken – die Mails würden immer erst zwei Tage auf einem Server in Verona rumliegen, bevor sie an den Empfänger ausgeliefert werden. Man stelle sich vor, statt der „Friedensreiter“, über die 1648 zwischen Münster und Osnabrück die neuesten Updates der Friedensverhandlungen ausgetauscht wurden, hätte man die italienische Post eingesetzt – in den Geschichtsbüchern würde man wohl vom „31-jährigen Krieg“ sprechen.

Die Langsamkeit der italienischen Post hat nichts mit bürokratischen Strukturen zu tun, und schon gar nichts mit ihren wirklich netten Mitarbeiter*innen – nein, sie lässt sich wortklauberisch begründen: das lateinische Präfix „post“ steht nun einmal für „nach, hinter“. Das klingt ja schon irgendwie langsam. Der Postkolonialismus kam (und kommt…) nach dem Kolonialismus, der Postfeminismus nach dem Feminismus, die Post erst nach fünf Tagen. 

Würde man das Unternehmen in „Italienische Prä“ umbenennen – vielleicht wären sämtliche Probleme gelöst. Dann würde „vor“her geliefert, und nicht erst „hinter“her. „Italienische Prä AG“. Das wär doch ein attraktiver Firmenname. Ich könnte ihn per stille Post verbreiten. Oder auf Facebook einen Post dazu schreiben, im Jahre 2016 post Christum macht man das so. Ich kann den Post auch postdatieren. 

Genug der postalischen Wortspiele. In Wirklichkeit leitet sich der Name der Post vom spätlateinischen positum ab und bezeichnet eine Position, also die „Post“ im Sinne von „Poststation“. Man geht ja zur Post. Was meistens schneller geht, als dass die Post zu einem kommt. Im schlimmsten Fall kommt die Post sogar erst postum.

Die (deutschen) Eltern von Handy und E-Mail
Oranger (niederländischer) Briefkasten im Grünen

Dieser Artikel wurde in der Straßenzeitung Zebra (Ausgabe 12/2016) veröffentlicht.
Der Kauf der Zebra lohnt sich meiner Meinung nach sowohl für Käufer (weil die Inhalte wirklich interessant sind) als auch für Verkäufer (weil sie einen Euro vom Verkaufspreis behalten dürfen und einen Zugang zu Arbeitswelt und sozialen Kontakten erhalten). Mehr Infos hier.

Donnerstag, 15. Dezember 2016

2016, ein Jahr zum Vergessen?

Wenn man sich die Jahresrückblicke 2016 in den deutschsprachigen Medien so anschaut und durchliest, bekommt man den Eindruck, dass die Apokalypse kurz bevorsteht. So wie jedes Jahr.

Aber vielleicht war 2016 ja gar nicht soo schlimm? Und da meine ich jetzt nicht mein persönliches Jahr 2016 – das privat, beruflich und überhaupt großartig war – sondern durchaus auch die große Politik:

Die Klimakonferenz in Marrakesch? Wird in den Jahresrückblicken gerne ausgeblendet. Dabei könnte es im Rückblick einmal durchaus eine Rolle spielen, dass 2016 beschlossen wurde, dass fast 50 Staaten der Erde ihre Energieversorgung bis 2050 komplett auf Erneuerbare umstellen wollen.

Alexander van der Bellen, ein grüner Pro-Europäer, ist (sogar zweimal!) zum neuen Präsident von Österreich gewählt worden? Ist in der ganzen Hofer-Hysterie fast komplett untergegangen.

Ok, Großbritannien wird die EU verlassen – aber waren sie eigentlich jemals wirklich drinnen?

Ok, Polen und Ungarn haben Regierungen, von denen man dachte, dass es sie in der EU nicht mehr geben würde – aber das zeigt ja überhaupt erst, an welch hohes Niveau wir uns mittlerweile gewöhnt haben. Vor dreißig Jahren hätte man in Osteuropa noch gar keine Pressefreiheit einschränken können.

Ok, Mc‘Donald Duck Trump wird jetzt wirklich US-Präsident. Aber hey, dieses großartige Land hat zweimal George Bush überlebt, da wird es ja wohl auch einmal Donald Trump überleben. Nach George Bush kamen Bill Clinton respektive Barack Obama – da freut man sich doch schon richtig auf den nächsten demokratischen (im wahrsten Sinne des Wortes) US-Präsidenten. Oder US-Präsidentin (warum nicht Michelle Obama? Oder doch Claire Underwood?).

Ok, die AFD ist in Sachsen-Anhalt zur zweitstärksten Kraft geworden. Und SPD und CDU werden gemeinsam mit der heutigen Rentner-Generation und den heutigen Leitindustrien aussterben, wenn sie sich weiterhin nur um deren kurzfristige Interessen kümmern. Aber hat nicht der Aufstieg der AFD dazu geführt, dass im eingelullten Muttiland endlich wieder einmal über Politik debattiert und für wichtige Themen und nicht nur für Fußballländerspiele auf die Straße gegangen wird? Haben wir 30-jährigen, die wir unter Schröder und Fischer politisiert wurden, uns nicht jahrelang gewünscht, dass Politik wieder so spannend wird wie vor Merkel? Jetzt haben wir den Salat. Aber wir können ihn gemeinsam auslöffeln und durch schwierige Diskussionen und langwierige Überzeugungsarbeit zeigen, dass der rechte Weg nicht der Rechte ist.

Ok, Renzi hat das Referendum und Italien damit den wohl besten Regierungschef seit Jahrzehnten verloren. Aber die Art und Weise, wie interessiert und intensiv die durchaus komplexen Inhalte des Referendums im Vorfeld diskutiert wurden, haben meinen Glauben an die direkte Demokratie gestärkt. Und die Demokratie in Italien auch.

Ok, es gab 2016 grauenhafte Terroranschläge. Man hätte sich aus so schönen Städten wie Nizza und Istanbul positivere Nachrichten gewünscht als die von Terroranschlägen (und vom Amoklauf eines AFD-Sympathisanten in München hätte man sich gar keine Terroranschlag-Nachrichten gewünscht, aber die schnellste Push-Meldung ist eben doch wichtiger als ein Innehalten, bis man den Sachverhalt richtig einordnen kann). Jedes Terroropfer ist eines zu viel. Aber den hunderten Terroropfern stehen hunderttausende Opfer gegenüber, die jedes Jahr an den Folgen der Luftverschmutzung sterben. Und 2016, das Jahr des VW-Skandals, könnte im Rückblick als das Jahr gelten, in dem auch die europäischen Politiker und Autohersteller endlich aufgewacht sind und gemerkt haben, dass die Gesundheit der Menschen wichtiger ist als der kurzfristige Gewinn durch den Verkauf von Dieselmotoren. Stickoxide sind deutlich gefährlicher als Muslime. Das wussten wir in unserer akademischen Echokammer schon vorher, aber die Skandale des Jahres 2016 haben diese Erkenntnis einem breiten Publikum zugänglich gemacht.

Echokammer hätte das Wort des Jahres werden können. Postfaktisch ist es geworden. Wahrscheinlich auch dank Jan Böhmermann. Schön, dass es diesen Böhmermann gibt. Und dass er 2016 eine Staatskrise ausgelöst hat, die an Absurdität nicht zu überbieten war. Schön, dass es die ZDF Mediathek gibt, die uns unsere Lieblingssendungen schauen lässt, wann wir das wollen und nicht, wann es der Programmdirektor vorsieht. Schön, dass es Netflix gibt. Und Nextbike. Und Netzwerke. Schön, dass es immer mehr freies W-Lan gibt. Und ein allgemeines freies Wahlrecht. Auch wenn uns der Ausgang der Wahlen nicht immer schmeckt. Aber Geschmäcker sind verschieden.

Nach meinem Geschmack war 2016 gar nicht soo schlimm.


Dieser Jahresrückblick stammt aus unserem neuen WG-Blog http://thebattleofblogs.blogspot.it/ 

Freitag, 9. Dezember 2016

Die bürokratische Herausforderung, in Bozen Squash spielen zu wollen

Ein Squashball kann bis zu 283 km/h schnell fliegen. Der bürokratische Prozess, in Bozen Squash spielen zu können, erfolgt nicht ganz so schnell.

Ja, ich spiele Squash. Nicht gut, aber das ist ja egal. Kennen und lieben gelernt habe ich es in einem kalten kanadischen Winter. Spaß macht es auch in einem milden Südtiroler Winter. Im Winter erfreuen sich Sportarten, die man in der warmen Halle praktizieren kann und die einen schnell an seine Grenzen bringen, ja generell großer Beliebtheit. Vor 30 Jahren wurden deshalb überall Squashhallen gebaut, so wie heute überall Boulderhallen gebaut werden. Squash ist sozusagen das Bouldern der 80er.

Leider stammt das Bozner Buchungssystem, falls man in diesem Zusammenhang von einem System sprechen kann, auch aus den 80ern.Und damit bin ich bei meinem Thema angelangt: Was muss ich tun, um in Bozen Squash spielen zu können? Die einfache Antwort wäre: Von zu Hause aus einen Platz reservieren, hinfahren und spielen. So funktioniert das im Rest der Welt. Aber ich wohne in Italien.

„Unsere“ Squashhalle liegt in der Reschenstraße, also vom Büro aus betrachtet am anderen Ende der Stadt. Heißt 4 Kilometer. 4 Kilometer, die man umsonst gefahren ist, wenn alle Plätze belegt sind. Also besser vorher reservieren. Vorher reservieren kann man aber nur vor Ort. Und zwar immer nur eine Woche im Voraus. Und zwar, indem man einen bunten Klebepunkt auf eine Art Stundenplan klebt. Kein Scherz. Schaut so aus:


Soweit, so rudimentär. Aber das Beste kommt noch: diese Klebepunkte muss man kaufen. Sie sind die Berechtigung, Squash spielen zu dürfen. Und die Berechtigung, eine Stunde Squash spielen zu dürfen, kostet 10 €. Ja, so ein dämlicher Klebepunkt kostet 10 €. Bei größeren Stückzahlen gibt es einen großzügigen Mengenrabatt, für 15 Klebepunkte zahlt man nur 140 €:



Keine Scherz, 140 € für ein paar Klebepunkte. Das Problem ist aber nicht der Preis, das Problem ist der Ort, an dem man sich diese Klebepunkte kaufen kann. Es gibt nur einen. Und das ist NICHT die Squashhalle. Nein, die Berechtigung, um in der Sporthalle in der Reschenstraße Squash spielen zu können, kauft man sich in der städtischen Dienststelle für Sport in der Lanciastraße, 3 Kilometer entfernt in der Industriezone. Zu den Zuständigkeiten der Dienststelle für Sport zählt laut Website (ja, die haben Internet!) unter anderem die „Verwaltung der in Sportanlagen durchgeführten Tätigkeiten in Zusammenarbeit mit dem Amt, das für die Instandhaltung derselben zuständig ist“. Logisch. Und aus irgendeinem Grund ist ihre Zuständigkeit auch der Verkauf der Squash-Klebepunkte. In der Sporthalle gäbe es schon auch Angestellte, die ihr Büro im Eingangsbereich haben und physisch wie intellektuell in der Lage wären, Klebepunkte zu verkaufen. Sie dürfen das aber nicht. Es ist da wohl in der Vergangenheit zu gewissen Unregelmäßigkeiten gekommen. Wie gesagt, ich wohne in Italien.

Man muss also zur Dienststelle für Sport fahren, um Klebepunkte zu kaufen, mit denen man in die Reschenstraße fahren kann, um einen Platz zu reservieren um irgendwann dann nochmal in die Reschenstraße zu fahren, um endlich Squash spielen zu können. Logisch. Einziges Problem an der Sache: die Öffnungszeiten der Dienststelle für Sport. Mo, Di, Mi, Fr 9-12 Uhr. Das deckt sich wunderbar mit den Kernzeiten, zu denen ich unbedingt im Büro sein muss (wie gesagt, ich wohne in Italien). Zum Glück gibt es aber den „Bürger-Donnerstag“. Und zum Glück ist jeden Donnerstag Bürger-Donnerstag. Das heißt: die Ämter haben länger auf. Das heißt: bis 13 Uhr (und dann nochmal von 14-17:30 Uhr). Donnerstags in der Mittagspause ist also die einzige Möglichkeit, zur Dienststelle für Sport zu fahren und diese dämlichen Klebepunkte zu kaufen.

Gesagt, getan: Ich bin hingefahren, hab mir die oben gezeigten Klebepunkte gekauft und mir den Kauf quittieren lasse. Voller Vorfreude wollte ich in der Reschenstraße am Stundenplan für eine Stunde einen Squashplatz reservieren – ging aber leider nicht: Um eine Stunde reservieren zu können, braucht man einen blauen Klebepunkt (10 €). Die roten Klebepunkte (5 €) gelten nur für dreißig Minuten, man braucht für einmal reservieren also zwei Punkte (deshalb sind auf dem Bild oben nur noch 13 Klebepunkte übrig). Sie haben mir also die falschen Klebepunkte verkauft! Quasi die halbe Leistung zum vollen Preis. Das einzige, was sie in dieser Dienststelle verkaufen, sind Klebepunkte zum Squashspielen, und die verkaufen sie dann in der falschen Farbe!

Wie gesagt, ich wohne in Italien.

Mit der gegenüber italienischen Behörden stets gebotenen Unterwürfigkeit bin ich also ein zweites Mal zur Dienststelle für Sport gefahren, um einen Umtausch der Klebepunkte zu erwirken. Das ging natürlich erst eine Woche später, am nächsten Bürger-Donnerstag. Dank Quittungsbeleg konnte ich der freundlichen Angestellten ihren Fehlverkauf nachweisen und habe tatsächlich sofort Ersatz in Form der blauen, also richtigen, Klebepunkte erhalten. Das wurde dann auf meiner Quittung vermerkt und meine Quittung kopiert – erst auf ein DIN A3-Papier, weil kein anderes mehr im Drucker war, anschließend dann noch einmal auf ein DIN A4-Papier. Und während die arme Angestellte vermutlich noch immer damit beschäftigt ist, den aus meinem Punktetausch resultierenden Verwaltungsvorgang abzuschließen, bin ich nun stolzer Besitzer von blauen Klebepunkten. Und eines blauen Fleckes auf dem Knie. Squash kann nämlich weh tun. Aber es macht Spaß.




Samstag, 12. November 2016

Ich liebe Barack Obama

In den vergangenen Tagen musste ich oft an einen schwarzen Jungen denken. Ich weiß leider nicht mehr, wie er heißt. Er war 14 Jahre alt, als ich ihn bei meiner Amerikareise im Sommer 2008 in einem Hostel in Chicago kennengelernt habe. Er trug ein T-Shirt und eine Basecap mit Obama-Bild und kam beim Frühstück an meinen Tisch, um mich für Barack Obama zu begeistern. Es war gerade die heiße Phase des Präsidentschaftswahlkampfes, ganz Chicago war voll von Wahlwerbung. Haustüren und Autos voller Obama-Aufkleber. So einen Wahlkampf, in dem sich beinahe jeder Bürger deutlich zu seinem Kandidaten bekennt, habe ich davor und auch danach nie wieder erlebt. Der schwarze Junge hat mit einer Begeisterung von Barack Obama und von dessen Bedeutung für die Schwarzen gesprochen, die mir erst in diesem Moment begreiflich gemacht hat, wie sehr der Rassenkonflikt die USA im Sommer 2008 noch immer geprägt hat. Chicago, das vereinfacht ausgedrückt in einen weißen Norden und einen schwarzen Süden geteilt ist, symbolisiert die einstige Rassentrennung wie keine andere amerikanische Großstadt. Und dieser kleine, sympathische Junge, der selber nicht wählen durfte, hat mit seiner Begeisterung für Obama meine eigene Begeisterung für Obama noch weiter verstärkt. Ich musste ihm gestehen, dass ich nicht aus Amerika komme und folglich nicht wählen darf – aber das war ihm egal. Er hat darauf gedrungen, dass ich allen Menschen erzählen muss, wie toll Barack Obama ist und dass sie alle zur Wahl gehen sollen.
Der Junge aus Chicago ist heute 22 Jahre alt. In dem Lebensabschnitt, in dem man wohl am intensivsten politisch geprägt wird, wurde er von einem schwarzen Präsidenten regiert. Es ist schade, dass die Hautfarbe in den USA noch immer eine so große Rolle spielt, aber es freut mich für den Jungen aus Chicago, dass Obama damals gewonnen hat. Und es freut mich, dass Barack Obama acht Jahre lang Präsident war. Ich bin nach wie vor begeistert von ihm. Zugegeben, man hätte jemandem, der mit Drohnen auf die Zivilbevölkerung schießen lässt, nicht unbedingt den Friedensnobelpreis überreichen müssen. Aber die Begeisterung, die dieser Mensch mit jeder Rede aufs Neue entfachen kann; die Coolness, mit der er das wichtigste Amt der Welt ausgefüllt hat; die Überzeugung, mit der er den aussichtslosen Kampf gegen die republikanische Fundamentalopposition gekämpft hat; seine sympathische Familie; sein wunderbarer Humor – ich liebe Barack Obama. Und ich werde ihn vermissen. Und ich finde es schade, dass auf meinen deutschen Wahlzetteln noch nie ein Name gestanden ist, den ich mit solcher Überzeugung hätte ankreuzen können wie ich Barack Obama gewählt hätte.
Hillary Clinton konnte die Begeisterung, die Obama 2008 entfacht hat, nicht entfachen. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass sie damals als haushohe Favoritin die Vorwahlen gegen ihn verloren hat. Der sexistische, rassistische Milliardär mit dem toten Eichhörnchen auf dem Kopf hat es hingekriegt, Begeisterung zu entfachen. Er ist zum 45. Präsidenten der segregierten Staaten von Amerika gewählt worden. Das muss man nicht toll finden. Aber als Demokrat sollte man es akzeptieren. Das wütende, weiße Amerika musste acht Jahre lang einen schwarzen Präsidenten ertragen, der sich für Home-Ehe und Pflichtkrankenversicherung eingesetzt hat. Jetzt muss das intellektuelle Establishment einen islamophoben Lügner ertragen, der auf Protektionismus setzt und den Klimawandel leugnet. Ein Präsident wird es nie allen Recht machen. Aber zumindest der Mehrheit sollte er es Recht machen. Und die kann sich in vier Jahren wieder ändern. Hoffentlich.



Mehr zu meinem Chicago-Aufenthalt 2008 findet ihr hier.

Mittwoch, 9. November 2016

Election Night und Mountainbike

Heute ist ein trauriger Tag, denn Donald Trump wurde zum US-Präsidenten gewählt. Orange is the new black.
Heute ist ein fröhlicher Tag, denn ich hab mir endlich ein Mountainbike gekauft. Spaß im Gelände is back.
In Summe ist heute also ein durchschnittlicher Tag.

Übrigens: wenn man auf dem Kopf von Angela Merkel eine Orange zerdrückt, schaut sie ein bisschen aus wie Donald Trump.

Samstag, 5. November 2016

Dem Verbrennungsmotor den Stecker ziehen

Es ist nicht überliefert, dass der finnische Wirtschaftsminister einmal nach Südkorea geflogen ist, um Samsung davon zu überzeugen, doch bitte nicht so viele Smartphones zu bauen, weil der finnische Hersteller Nokia nach wie vor lieber Klapphandys baut und man Angst vor der Konkurrenz aus Fernost hat. Eine solche Reise wäre ja auch Quatsch gewesen, viel sinnvoller wäre es gewesen, wenn Nokia seine Produktion rechtzeitig konsequent auf Smartphones umgerüstet hätte. Dann wären tausende Arbeitsplätze gerettet worden und wir würden heute weiterhin mit europäischen Handys kommunizieren und nicht mit asiatischen oder kalifornischen.

Sehr wohl überliefert ist die Reise des deutschen Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel nach China, wo er die chinesischen Politiker in der vergangenen Woche davon abbringen wollte, eine fixe Quote für die Zulassung von Elektroautos einzuführen. Schließlich bauen die deutschen Autohersteller nach wie vor lieber Autos mit Verbrennungsmotor und man hat Angst vor der Konkurrenz aus Fernost.

Die Reise war völliger Quatsch, viel sinnvoller wäre es, wenn die deutschen Hersteller ihre Produktion konsequent auf Elektrofahrzeuge umrüsten, bevor es zu spät ist. Was Europa jetzt braucht, sind großzügige Förderungen für Elektrofahrzeuge und strenge Restriktionen gegen Verbrennerfahrzeuge. China und Kalifornien zeigen, wie es geht. In Chemnitz und Köln vergiften wir uns hingegen weiterhin mit krebserregenden Diesel-Abgasen, lassen uns vom Verkehrslärm stressen und freuen uns, dass die Erfinder von Dieselmotor (Rudolf Diesel) und Ottomotor (Nicolaus Otto) Deutsche waren. Und dass wir die weltbesten Verbrennungsmotoren bauen. So wie Nokia einst die weltbesten Handys gebaut hat. Und Kodak die weltbesten Analogfilme. Sowohl Nokia als auch Kodak haben große Gewinne gemacht, sich auf ihren Erfolgen ausgeruht und zu spät gemerkt, dass sie von moderneren Technologien überholt werden. Geschichte wiederholt sich.

Von einem Wirtschaftsminister darf man erwarten, dass er sein Land in das 21. Jahrhundert führt. Es sollte nicht seine Zielsetzung sein, die Technologien des 19. Jahrhunderts möglichst lange zu erhalten. Die Verlängerung der Vergangenheit in die Zukunft scheint aber eine Kernkompetenz der SPD unter Sigmar Gabriel und Hannelore Kraft zu sein. Braunkohle und Diesel haben bald ausgedient. Die SPD auch? Der Weg ins 21. Jahrhundert ist auf jeden Fall ein Fahrradweg, keine Autobahn. Und der Antrieb des 21. Jahrhunderts ist elektrisch, nicht krebserregend.

Die Erfinder des Elektromotors (Werner von Siemens) und des Fahrrads (Karl Drais) waren übrigens auch Deutsche. Die Weiterentwicklungen ihrer Erfindungen – seien es Elektroautos, Lastenfahrräder oder Fixies – sind dabei, die Großstädte dieser Welt zu erobern. Gebaut werden sie allerdings eher in Kalifornien und China. Nicht in Chemnitz oder Köln. In Köln rollen bei Ford nach wie vor nur Autos mit Verbrennungsmotor vom Band. In der Nähe von Chemnitz befindet sich mit den Diamantwerken immerhin die älteste produzierende Fahrradfabrik Deutschlands. Sie wurde 2003 von einer amerikanischen Firma aufgekauft.

Dienstag, 20. September 2016

Vor lauter Bier den Wald nicht sehen

Der Freund einer guten Freundin arbeitet „bei der Forst“, hat sie mir kürzlich berichtet. Auf der Leinwand meines Kopfkinos sehe ich einen jungen Mann zwischen Braukessel und Abfüllanlage stehen, umhüllt von einem Duft nach geröstetem Malz und Hopfenextrakt. In meinen Gedanken arbeitet der Freund der Freundin bei der Brauerei Forst, in Südtirol weltberühmt und auch außerhalb Südtirols nicht mehr ganz unbekannt, seit Til Schweiger in Venedig einen Horst bestellt hat. Honig im Kopf und Bier im Bauch. 

Aber nichts da: Der Freund der Freundin arbeitet keineswegs in der größten Brauerei Südtirols, er arbeitet im Wald. Er arbeitet also genaugenommen nicht bei der Forst, sondern im Forst. Er arbeitet für die Forstverwaltung, und in Südtirol sagt man dazu eben „bei der Forst“.

Er ist Angestellter „in der Forstwirtschaft“ würde man hochdeutsch wohl eher sagen. Mit der Wirtschaft hat sein Job schon auch zu tun, die kurbelt er ja an, indem er mit Kurbel, Axt oder Säge durch den Forst marschiert. Er kümmert sich darum, dass es dem Wald gut geht. Und wenn es dem Wald gut geht, geht es den Menschen gut. Der Wald produziert Sauerstoff und Holz, er garantiert Lebensqualität und erfüllt eine Erholungsfunktion. Mal ganz abgesehen davon, dass er der Lebensraum unzähliger Tier- und Pflanzenarten ist.

Wald ist also eindeutig wichtiger als Bier. Der Forst ist wichtiger als die Forst. Warum denke ich dann bei „bei der Forst arbeiten“ trotzdem sofort an Bier? Bin ich von Bierwerbung durchdrungen und vom Marken-Marketing vernebelt? Diskriminiere ich Wald und Waldarbeiter, wenn ich bei Forst nur an Bier denke? Sollte man mehr Product Placement, virales Marketing und Brand Management für den Wald machen? Angenommen, Til Schweiger würde in seinem nächsten Film fragen, ob es denn hier irgendwo einen Forst gebe, er müsse nämlich unbedingt mal wieder den Kopf freikriegen und wolle den Duft nach Wacholder und den Klang der Vögel einsaugen – werde ich dann bei „Forst“ zukünftig nicht mehr nur an Braukessel und Abfüllanlagen, sondern an Wanderwege und nachwachsende Rohstoffe denken?

Bevor ich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehe, sollte auch ich am besten mal wieder einen Waldspaziergang machen. Dann könnte ich auch in eine schöne, gemütliche Forstwirtschaft einkehren. Sagt man das so, Forstwirtschaft? Vielleicht sollte man besser das wunderschön altmodische Wort „Waldschenke“ verwenden? Wobei einem in der Waldschenke ja auch nichts geschenkt wird. Höchstens eingeschenkt. Ein Forst zum Beispiel.


Prost.
Dieser Artikel wurde in der Straßenzeitung Zebra (Ausgabe September 2016) veröffentlicht.
Der Kauf der Zebra lohnt sich meiner Meinung nach sowohl für Käufer (weil die Inhalte wirklich interessant sind) als auch für Verkäufer (weil sie einen Euro vom Verkaufspreis behalten dürfen und einen Zugang zu Arbeitswelt und sozialen Kontakten erhalten). Mehr Infos hier.