Donnerstag, 1. September 2022

Mit der Westbahn von München nach Wien

Wir erschrecken kurz, weil der Zug nicht auf dem Abfahrtsanzeiger steht. Später taucht er doch auf. Und startet am Starnberger Flügelbahnhof. Also muss man sich den Zug erstmal erarbeiten mit einem langen Fußmarsch durch den Münchner Hauptbahnhof. 

Am Bahnsteig erwartet uns ein Doppelstock-Triebzug (KISS 3 von Stadler, Baujahr 2021). Was als erstes auffällt: Die breite Eingangstür. Wow. Kein Vergleich mit den gewohnten engen Türen von ICE und Railjet. 


Die reservierten Plätze sind schnell gefunden. Bei der Westbahn scheint es also Standard zu sein, dass der Wagen, in dem man reserviert ist, auch wirklich dabei ist (kleiner Seitenhieb zur Deutschen Bahn muss sein). Während der Fahrt werden wir merken: die Reservierungsanzeigen zeigen den Zugbetreuerinnen, für welchen Streckenabschnitt auf diesem Sitzplatz eine Fahrkarte gescannt wurde. „Personalwechsel, die Fahrscheine bitte!“ braucht es bei der Westbahn also nicht.


Der Sitz ist sehr bequem, auf die Armlehne passt tatsächlich ein Arm, der Tisch ist groß, es gibt ein praktisches Gepäcknetz am Vordersitz, es gibt für jeden Sitz eine Steckdose: Tippitoppi. Mal wieder fragt man sich: Warum muss der ICE4 so besch* sein? Es würde auch anders gehen. 


Einziger Wermutstropfen: Der Platz fürs Gepäck im Obergeschoss ist sehr begrenzt. Wir kriegen es gut hinter der hintersten Sitzreihe unter, aber bei vielen Reisenden mit viel Gepäck würde es schwierig werden. 


Die Toilette ist auffallend sauber. Anscheinend macht die Westbahn am Zielbahnhof die Toilette sauber, bevor sie den Zug wieder auf die Reise schickt. Sollte eigentlich Standard sein, ist aber leider überraschend.

Es wird nach Frauen- und Männerklo unterschieden, in letzterem gibt es auch ein Pissoir. Unnötig, aber schon auch irgendwie witzig.


Eigenen Speisewagen hat die Westbahn nicht, aber einen Automaten mit Essen und Getränken. Die Ottakringer-Dosen lachen mich an. Der Kaffeeautomat auch. Können wir ja später mal testen. 


Jetzt erstmal Platz nehmen und den Blick aus dem Fenster auf München und die Isar genießen. Großer Beinabstand, und jeder Fensterplatz ermöglicht tatsächlich einen Blick aus dem Fenster. Erster Eindruck nach ein paar Minuten: Warum kann nicht jeder Zug so sein wie die Kiss-Züge der Westbahn?

Das Passagieraufkommen ist angenehm niedrig, es gibt viele freie Sitzplätze. Anders als bei den beiden 9-Euro-Sardinenbüchsen heute Vormittag.

Nach dem Halt in München Ost stört ein regelmäßiges klopfendes Geräusch. Ursache unklar. Es hört aber irgendwann auch wieder auf. 

Ohne weiteren Zwischenhalt geht es durch das bayerische Voralpenland. Die Brücke in Traunstein ist einfach jedes Mal aufs Neue schön. 

 

Den Chiemsee sieht man leider nur kurz, dafür hat man aus dem anderen Fenster quasi durchgehend schöne Blicke auf die Chiemgauer Alpen. Zwölf Jahre ist es mittlerweile her, dass ich die für die Erstellung eines Wanderführers erklimmen durfte.


Wir überqueren die Saalach. Und somit die Grenze nach Österreich. Spätestens jetzt hat niemand mehr eine Maske auf. Kurz darauf überqueren wir auch die Salzach, jetzt muss man nach in Fahrtrichtung rechts schauen, um Salzburg und die Festung Hohensalzburg zu sehen. Aus einem Doppelstockwagen-Obergeschoss kann man diesen Blick erst genießen, seit die Westbahn bis nach München durchfährt.


Bald nach der Abfahrt in Salzburg machen wir es uns in der Café-Ecke gemütlich. Der Automat spuckt zwei Wasserflaschen zum Preis von einer aus. Der Cappuccino ist keine Offenbarung, aber auch hier gilt: Immerhin besser als im ICE. 


Richtung Alpen sieht es nach Regen aus. Kann uns egal sein, wir haben ein Dach über dem Kopf. 

Nach dem Snack geht's zurück ins Obergeschoss. Vöcklabruck. Attnang-Puchheim. Wels. Baustellen bremsen den Zug aus und erhöhen die Verspätung, mit letzter Kraft schleppt sich die Stadler-Garnitur in den Hauptbahnhof von Linz. Hier füllt sich der Waggon merklich. Es wird deutlich: Von Linz nach Wien ist die Bahn konkurrenzfähig. Seit die „Neue Westbahn“ hier für 230km/h ausgebaut wurde, muss man schon sehr autoaffin sein, um nicht auf die bequeme Bahn umzusteigen.


Die Züge des Unternehmens Westbahn fahren auf der Westbahn zwar „nur“ 200km/h, nach dem Gebummel der letzten Stunden fühlt sich das aber fast nach Lichtgeschwindigkeit an. Ein letzter Blick auf Pöstlingberg und Stahlwerk, dann beschleunigt der Zug und rauscht dem ersten längeren Tunnel entgegen. Amstetten. Zwischen zwei Tunnels erhascht man einen kurzen Blick auf das berühmte Stift Melk. In St. Pölten erhascht einen Blick auf den Schmalspurzug der Mariazellerbahn.


Die Druckdichtigkeit im Wienerwaldtunnel ist nicht herausragend, die Schnelligkeit, mit der wir nach Wien gelangen, schon. Die Verspätung reduziert sich bis zum Zielbahnhof auf 8 Minuten. Ein letzter Halt in Wien-Hütteldorf. Auf dem Bahnsteig Otto Wagner-Grün. Nun sind wir schon im Wiener U-Bahn-Radius. Noch ein kurzer Sprint für den spurtstarken Triebzug, dann erreichen wir den Wiener Westbahnhof. Ja, die Westbahn endet am Westbahnhof. Nomen est Omen. Soll der Railjet ruhig zum Stahl-Glas-futuristischen Hauptbahnhof durchrauschen, wir betreten Wien durch die monumentale Nachkriegshalle des Westbahnhofs. Vor uns der Gürtel, mit der Bim geht’s weiter zum Ring. 

„Der Weg ist das Ziel“ stimmt nicht, wenn das Ziel Wien ist.