Mittwoch, 20. Dezember 2017

Sicher ist sicher

Sicherlich haben Sie in den vergangenen Monaten schon sehr viele Texte über das Thema Sicherheit gelesen und mit Sicherheit haben Sie keine Lust, diesen hier jetzt auch noch lesen zu müssen. Aber um auf Nummer sicher zu gehen, dass sie nichts Wichtiges verpassen, sollten Sie sicherheitshalber noch ein Stück weiterlesen. Sicher ist sicher.

Dank hoher Sicherheitsstandards, Sicherheitsgurt, Sicherheitsabstand und Sicherheitstechnik leben wir heute so sicher wie noch nie zuvor. Dennoch haben wir so viel Angst wie noch nie zuvor. Warum ist das so?

Sicher geben Sie mir Recht, dass man sich ergeben sollte, wenn man mit einer Waffe bedroht wird. Waffen sind wirklich gefährlich. Autos auch. Wütende Ehepartner wahrscheinlich auch. Aber sonst? Muss man wirklich vor allem Angst haben? Es wäre sicher schlauer, wenn wir die mediale Panikmache und die tausenden Warnhinweise um uns herum einfach mal ignorieren würden.

Ein paar der Warnhinweise, die ich in den letzten Jahren gesehen habe, sind hier abgebildet. Sie befinden sich sozusagen auf der sicheren Seite. Die Schilder berichten aus sicherer Quelle, dass man sich vor Katzen, Kühen und Eisbären in Sicherheit bringen sollte. Vor freilaufenden Menschen sowieso. Und vor gemeingefährlichen Bieraufzügen. Wenn man die Gefahr nicht konkret benennen kann, dann schreibt man einfach „Lebensgefahr“ aufs Schild. Lebensgefahr geht immer.







Ansonsten hat jede Region ihre individuellen Sicherheitsrisiken: In Kroatien wurde ich vor Bodenminen gewarnt, in Kalifornien vor Erdbeben und in Irland vor Schafen. Am meisten gefreut habe ich mich über das Verbotsschild „Riding a bicycle while drunk is prohibited on a mountain!“ in Georgien. Besoffen Fahrradfahren auf einem Berg geht gar nicht, viel zu gefährlich! Besoffen Fahrradfahren im Tal? Scheint OK zu sein.






Wege am Wasser können nass sein, große Überraschung. Und unnötiges Rasten versuche ich bei Bergwanderungen sowieso zu vermeiden – schließlich wäre es ja der Gipfel, wenn man diesen nie erreichen würde. Aber ganz ohne Risiken und Nebenwirkungen wäre das Leben doch langweilig. Wie sagt schon der angelsächsische Volksmund: No Risk, no fun.




Wenn man den Schilderwahn und die mediale Panikmache ernst nimmt, fragt man sich, ob es überhaupt noch einen Ort gibt, wo man save ist. Sicher gibt es den: Südtirol. Denn nur hier heißt der Abteilungsdirektor im Straßendienst Sicher. Da kann doch gar nichts passieren.

Die ein oder andere Anti-Terrormaßnahme ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sinnlos. Aber sie bringt einen sicheren Listenplatz bei der nächsten Wahl. Womit ich jetzt bei meinem eigentlichen Thema angekommen bin: Der Frage, ob das Gegenteil von Sicherheit eigentlich Gefahr ist – oder Freiheit.

Aber jetzt ist die Seite leider schon voll und ich muss den Text beenden. Ich behaupte jedoch ganz selbstsicher: Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass ich diese sicherheitsrelevante Frage irgendwann erörtern werde.



 

Dieser Artikel wurde in der Straßenzeitung Zebra (Ausgabe November 2017) veröffentlicht.
Der Kauf der Zebra lohnt sich meiner Meinung nach sowohl für Käufer (weil die Inhalte wirklich interessant sind) als auch für Verkäufer (weil sie einen Euro vom Verkaufspreis behalten dürfen und einen Zugang zu Arbeitswelt und sozialen Kontakten erhalten). Mehr Infos hier.

Mittwoch, 6. Dezember 2017

Tessin und Graubünden mit Bus und Bahn

Italienisch – und trotzdem geordneter Straßenverkehr. Schweiz – und trotzdem entspanntes dolce vita. Das Tessin verhält sich zu Italien wie Kanada zu den USA. 
Graubünden hingegen ist wie Südtirol - nur noch schöner. Und der ÖPNV ist noch besser.
Es gab also genug gute Gründe, mal wieder in die Schweiz zu fahren. Ich habe mit Graubünden Pass und Ticino Ticket die schönsten Bahn- und Postbusstrecken abgegrast, die Wahlheimat von Hermann Hesse besucht - und das ganze in 100 Fotos und Video-Schnipseln zusammengefasst:



Montag, 6. November 2017

Donald Trump, Frank Underwood oder Kevin Spacey: Wer ist eigentlich der Schlimmste?

Ich habe letztes Wochenende die fünfte Staffel von House of Cards fertiggeschaut, ich habe die Spiegel-Titelgeschichte „Zwölf Monate Wut, Verschwörung und Atemlosigkeit“ über Donald Trump gelesen und ich habe verschiedene Beiträge über die unsäglichen Vergehen von Kevin Spacey gesehen und gelesen. Das war zu viel: Ich kann die drei nicht mehr auseinanderhalten.

Was hat jetzt nochmal Trump gemacht, was Underwood und was Spacey? Die drei Arschlöcher verwischen in meinem Kopf zu einem bösen, männlichen, amerikanischen, sexistischen Wutausbruch. Wer war jetzt nochmal der rachsüchtige Präsident, dem es nur um Macht und Machterhalt geht? Trump oder Underwood? Wer war der Sexist, der am liebsten seine eigene Tochter daten würde? Kevin Spacey? Ach so, nein, der ist ja jetzt schwul. Oder war es Frank Underwood, der schwul ist und seinen Radtour-Bodyguard angegraben hat? Oder lief da nur zufällig die Kamera mit und sie haben es dann später in die Serie mit eingebaut, um Kevin Spacey eins auszuwischen? Wer hat die junge Journalistin erst gevögelt und dann vor die U-Bahn geschmissen? Underwood und Spacey können es ja nicht sein, wenn sie schwul sind, also Donald Trump? Dann hätte ja aber Fox News oder Breitbart oder sonst jemand, der zu den Pressekonferenzen im Weißen Haus noch zugelassen ist, darüber berichten müssen. Oder zumindest Tom Hammerschmidt.

Ich weiß wirklich nicht mehr, wer von den dreien der Schlimmste ist: Donald Trump, Frank Underwood oder Kevin Spacey?

Ermitteln wir den „Sieger“ einfach so, wie es allen drei Beteiligten wohl am liebsten wäre: Im Kampf Mann gegen Mann. Jeder gegen jeden.

Runde 1: Frank Underwood gegen Kevin Spacey.

Ich will absolut nicht verharmlosen, was Kevin Spacey getan hat. Er hätte schon viel früher auffliegen und vor seinen Missbrauchsopfern auf die Knie fallen müssen. Aber was bei Kevin (OMG, er heißt wirklich Kevin) Spacey wohl das Ende seiner Karriere bedeutet, ist bei Underwood nur eine kleine Episode in der 5. Staffel, die von all dem in den Schatten gestellt wird, was er sonst so an Verbrechen und Morden begangen hat. In Therapie geht er trotzdem nicht. Frank Underwood ist definitiv böser als Kevin Spacey, klarer Punktsieg für Underwood.

Runde 2: Kevin Spacey gegen Donald Trump.

Das Duell der beiden Präsidenten-Schauspieler. Der eine nur im Fernsehen, der andere leider im echten Weißen Haus. Wer ist böser? Ein Schauspieler, der einen bösen Präsidenten spielt oder ein echter Präsident, der mit Atomkriegen droht? Ein Vergewaltiger, unter dem mehrere Männer leiden mussten – oder ein notorischer Lügner, unter dem die ganze Welt leiden muss? Wohl eindeutig letzteres. Runde 2 geht klar an Donald Trump.

Runde 3: Frank Underwood gegen Donald Trump.

Auf dieses Duell hat die Welt schon lange gewartet. Frank Underwood gegen Donald Trump. Pest gegen Cholera. Eine Erfindung von Netflix gegen denjenigen, der von denjenigen gewählt wurde, die House of Cards für die Realität in Washington halten – und somit House of Cards zur Realität in Washington gemacht haben. 

Beide Präsidenten haben ihr Duell gegen Kevin Spacey gewonnen. Jetzt stehen sie im Finale. Und die Frage lautet: Wer ist der Schlimmere von beiden, Trump oder Underwood?

Trump ist vermutlich der Unberechenbarere von beiden, Underwood ist der Intelligentere. Was in diesem Fall schlecht ist: Wenn Trump so intelligent wäre wie Underwood, wer weiß, welchen menschenverachtenden Unsinn er dann in seinem ersten Amtsjahr schon hätte durchsetzen können. Underwood hingegen geht es ja gar nicht darum, irgendetwas durchzusetzen, ihm geht es nur um Macht. Trump muss man dahingegen zu Gute halten, dass er wenigstens Ziele und Ideen hat. Mögen sie auch noch so krank sein. Während Underwood über Leichen geht, spaziert Trump über Golfplätze. Trump schmeißt Journalisten aus dem Weißen Haus, Underwood schmeißt sie gleich vor die U-Bahn. Die Tatsache, dass Underwood in dem, was er vorhat, erfolgreicher ist als Trump, macht ihn für mich zum Schlimmeren der beiden. Die Grundintention mag ähnlich sein, aber Underwood ist in der Lage, seine Intentionen in Handlungen umzusetzen. Frank Underwood ist für mich die schlimmere der beiden Testosteronbomben, der „Sieg“ geht an ihn.

Immerhin macht Underwood am Ende der fünften Staffel etwas, das Donald Trump auch endlich mal machen sollte. Aber ich will nicht spoilern. Vielleicht gibt es ja Menschen dort draußen, die die fünfte Staffel noch nicht zu Ende geschaut haben. Falls ihr wie ich an der Serienauswahl im italienischen Netflix verzweifelt: ich kann euch die DVDs jetzt ausleihen!

Als ich das Foto gemacht habe, hat da noch George W. Bush gewohnt.
Hätte nicht gedacht, dass ich ihn mal vermissen werde...


Zum Abschluss sei übrigens angemerkt, dass auch Frauen böse sein können. Robin Wright als Claire Underwood in der fünften Staffel: Unglaublich. Das Böse in Person. Da möchte man nicht meinen, dass die mal die Freundin von Forrest Gump war.

Doch, war sie wirklich.

Dienstag, 31. Oktober 2017

Fahrradgeber

Ich stehe gerne mit Rad und Tat zur Verfügung und gebe euch den Rat: Fahrt Rad!

Wir müssen das Rad zum Glück nicht neu erfinden, denn das hat Karl Drais schon vor 200 Jahren gemacht. Nach 7 Kilometern Jungfernfahrt kam er am Schwetzinger Relaishaus an und hätte sicherlich gesungen „Ja, mir san mim Radl da“, wenn das Lied damals schon jemand erfunden gehabt hätte. Aber immerhin war nun das Fahrrad erfunden.

Fahr-Rad. Was für ein komischer Name für ein neues Verkehrsmittel. Wie wenn die römischen Fuhrwerke 2.000 Jahren vorher nicht auch schon mit Rad gefahren wären. Vielleicht sagen die Schweizer deshalb statt Fahrrad lieber „Velo“. Was übrigens aus denselben Buchstaben besteht wie „Love“, also Liebe. Fahrrad und Liebe hängen scheinbar irgendwie miteinander zusammen (hat das Fahrrad deshalb einen Ständer? Gibt es deshalb so etwas wie einen „Passhöhen-Orgasmus“?). Aber muss man sein Fahrrad gleich lieben, um ein Fahrrad-Liebhaber zu sein? Und darf man es dann überhaupt noch fahren? Schließlich heißt es ja: Wer sein Rad liebt, der schiebt. Immer nur schieben macht natürlich genauso wenig Sinn, wie ein großes Rad zu drehen. Ein Fahrrad muss man fahren, das sagt doch schon der Name!

Dass das Fahrrad lange nicht in Mode war, erkennt man bereits an den furchtbaren Synonymen: Stahlross, Drahtesel, Eierschaukel. Und was sind laut www.duden.de häufige Adjektivverbindungen zu „Fahrrad“? Herrenlos, kaputt, rostig, klapprig. Hm. Da wollen wir besser nicht das Rad der Geschichte zurückdrehen in die autogerechten Nachkriegsjahrzehnte, als das Fahrrad quasi das fünfte Rad am Wagen war. Hätte, hätte, Fahrradkette… Wir blicken lieber in die Zukunft, die selbstverständlich dem emissionsfreien, sozialverträglichen und gesundheitsfördernden Fahrrad gehört. Kommt Zeit, kommt Rad. Die Zebra wird dann keine Straßenzeitung mehr sein, sondern eine Radwegzeitung. Und wir werden uns nur noch von gesunden Dingen ernähren, die mit „Rad“ beginnen: Radicchio, Radieschen, Radi.

Wortklauberisch könnte man ja behaupten, dass sich alle anderen Verkehrsmittel irgendwie vom Fahrrad ableiten. Die elektrische Eisenbahn? Fährt nur dank Fahrdraht. Klingt doch irgendwie nach „fahrt Rad!“. Das Auto? Ist ein Faradayischer Käfig. Also wie ein Fahr(r)ad, nur sitzt man halt im Käfig. Und wer sitzt schon gerne im Käfig – also rauf aufs Rad! Es ist schließlich besser, sich auf den Sattel zu schwingen als unter die Räder zu kommen.

Ja ok, Fahrdraht und Faraday sind weit hergeholt. Vielleicht hab ich einfach ein Rad ab. Aber lieber ein Rad abhaben als ein Rad geklaut kriegen! Ist das Rad erstmal geklaut, dann ist man ziemlich radlos. Und ein neuer Radweg ist mir allemal lieber als ein neues Rad weg.

Gottes Radwege sind natürlich unergründlich, aber ich bin mir sicher: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Fahrradweg!

Kommt Zeit, kommt Rad.
Dieser Artikel wurde in der Straßenzeitung Zebra (Ausgabe September 2017) veröffentlicht.
Der Kauf der Zebra lohnt sich meiner Meinung nach sowohl für Käufer (weil die Inhalte wirklich interessant sind) als auch für Verkäufer (weil sie einen Euro vom Verkaufspreis behalten dürfen und einen Zugang zu Arbeitswelt und sozialen Kontakten erhalten). Mehr Infos hier



Passend zum Thema unser Green Mobility-Fahrradvideo:

Dienstag, 3. Oktober 2017

Warum die Unabhängigkeit Kataloniens ein Blödsinn ist

90 Minuten lang hat Emmanuel Macron letzten Dienstag eine mutige Zukunft Europas skizziert. Mit einer europäischen Armee. Einer europäischen Finanz- und Wirtschaftsunion. Einer europäischen Asylbehörde. Klingt alles ziemlich vernünftig. Eine katalonische Armee wäre hingegen ein ziemlicher Blödsinn.

Katalonien ruft den katalanischen Staat innerhalb der Republik Spanien aus. Damit wird eine Spirale der Gewalt ausgelöst, die zwei Jahre später im Bürgerkrieg endet. Am Ende gibt es einen Diktator.

Das war 1934 (bis 1939). Aber Geschichte wiederholt sich ja bekanntlich. Und weil Katalonien mit dem seit 1978 gültigen Autonomiestatut unzufrieden ist (und eine Ausweitung 2010 aufgrund einer Klage der rechtskonservativen Partei von Mariano Rajoy gescheitert ist), begeht die stolze Teilrepublik jetzt die Dummheit, mit einer undemokratischen Abstimmung (oder wie sollte man eine verbotene Abstimmung ohne Wählerlisten sonst nennen?) ganz Spanien, wenn nicht gar die gesamte Europäische Union, ins Chaos zu stürzen. Statt einfach abzuwarten, bis Rajoy nichts mehr zu melden hat und in Madrid wieder eine vernünftige (sozialistische) Regierung regiert, regiert nun vermutlich bald die Anarchie. Aber damit kennt man sich in Barcelona ja aus: 1936-1939 war Katalonien Schauplatz der einzigen (zeitweise) geglückten anarchistischen Revolution in der Europäischen Geschichte. Sagt zumindest Prof. Wikipedia, der muss es wissen.

Katalonien ist bekanntlich nicht die einzige aufmüpfige spanische Teilrepublik. Who’s next? Wer hat noch nicht Unabhängigkeit, wer will nochmal? Galizien? Baskenland? Balearen? Kanaren? Sollen die dann alle EU-Mitgliedsländer und Euroländer werden? Das ist doch Schwachsinn! Können wir uns nicht einfach darauf einigen, dass in Zukunft die wichtigen Entscheidungen auf europäischer Ebene getroffen werden (und zwar von einem demokratisch gewählten Europäischen Parlament, nicht vom merkelesken Rat der nationalen Befindlichkeiten) und die für die einzelnen Regionen wichtigen Dinge direkt in den Regionen entschieden werden? Die Nationalstaaten, diese seltsame aus der globalisierten Zeit gefallene Erfindung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, behalten eine wichtige Koordinations- und Kommunikationsfunktion, aber sie geben „Macht“ nach oben und unten ab, um Teil eines starken, glokalisierten Europas sein zu können. Ein Europa der Regionen, das nicht – wie sich das Volker Kauder wünscht – deutsch spricht. Und das nicht – wie es derzeit der Fall ist – französisch spricht. Sondern das auch flämisch, katalonisch und korsisch spricht und die Interessen ALLER Bürgerinnen und Bürger beherzigt und vertritt.

Liebe kack-konservative spanische Zentralregierung: Wenn Katalonien Stierkämpfe verbieten will, dann soll Katalonien Stierkämpfe verbieten dürfen. Und wenn das Baskenland eine Finanzautonomie hat, dann sollte das für Katalonien doch auch möglich sein. Lasst die Katalonier ihre Sprache lernen und lehren. Nehmt sie ernst. Und hetzt nicht bewaffnete Polizisten auf sie. Sie sind schließlich eure Landsleute. Und das sollten sie auch bleiben.

Alles andere wäre ein Blödsinn.


Ein Referendum mit der Wahl zwischen Pest und Colera? Letzteres liegt auf jeden Fall in Katalonien.

Dieser Artikel wurde zum ersten Mal im Battle of Blogs gepostet.

Montag, 18. September 2017

Wach auf, Deutschland! 12 Jahre Schlafen reicht

Eine Autobahnbrücke, die vor der Fertigstellung zusammenstürzt; ein Flughafen, der nicht fertig wird; Unternehmen, die Standorte ins Ausland verlagern, weil sie keinen schnellen Internetanschluss haben; Freibäder, die geschlossen werden, weil die Kommune den Betrieb nicht mehr stemmen kann; Schulsport, der ausfällt, weil die Turnhalle einsturzgefährdet ist; man weiß nicht, wie viele Millionen Menschen im Land leben, weil man seit Jahrzehnten keine Volkszählung hinkriegt; und nach der Geburt eines Kindes in Berlin wartet man monatelang auf die Geburtsurkunde.

Das sind alles Nachrichten aus Deutschland, dem angeblichen Wirtschaftsmotor Europas. Der seit Jahren auf Verschleiß fährt, Reformen scheut und sich seit Jahren auf seinen Lorbeeren ausruht. Der seine Exportstärke nicht zuletzt dem Euro zu verdanken hat. Und der auf die nächste Krise so überhaupt nicht vorbereitet ist.

Statt die Unternehmen auf das 21. Jahrhundert vorzubereiten, setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass alles so bleibt, wie es noch nie war. Die Braunkohl-SPD will zurück ins 19. Jahrhundert, die Post-Kohl-CDU will zumindest das 20. Jahrhundert weiter verlängern, die Linkspartei will die DDR zurück und die AfD die vorangegangene Diktatur. Niemand (außer vielleicht den Grünen und der um Himmels Willen bitte nicht FDP) scheint Lust auf das 21. Jahrhundert zu haben. Die Zukunft wird woanders gemacht: Sie wird von deutschen Informatikern im Silicon Valley programmiert, von deutschen Industrieunternehmen in China produziert und von deutschen Ingenieuren in den Nahen Osten exportiert.

Wie lange kann das noch gut gehen mit der starken deutschen Wirtschaft? Die großen Energieerzeuger sind an der Energiewende gescheitert, die Auto- und vor allem die Zuliefererindustrie droht nun an der Mobilitätswende zu scheitern. VW ist zwei Jahre nach dem Beginn des Diesel-Skandals (mit dem das Unternehmen ganz nebenbei bemerkt mehrere tausend Todesopfer zu verantworten hat, was aber noch keinem Journalisten oder gar Richter in Deutschland aufgefallen ist) noch keinen Schritt weiter. Während die amerikanische und asiatische Konkurrenz auf die elektrische Technik der Zukunft setzt, leistet die Politik in Deutschland ihrer geliebten Autoindustrie mit der Förderung des tötenden und bald selbst sterbenden Diesels einen Bärendienst. Air Berlin ist schon pleite, die Lufthansa wird zwischen billigeren und besseren Airlines zerrieben. Auch das stolze Siemens wirkt wie ein schwerfälliger Dinosaurier im Vergleich zu den dynamischen Silicon Valley-Unternehmen.

Einstürzende Altbauten

Am schlimmsten ist, dass die wirtschaftlich starken Jahre nicht für Reformen genutzt werden. Das deutsche Steuersystem ist nach wie vor absurd kompliziert, die Digitalisierung macht einen weiten Bogen um deutsche Behörden und die Einnahmen der Sozialkassen sind nach wie vor zu sehr von den Lohnnebenkosten abhängig. Sobald die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze wieder sinkt, werden sowohl die Einnahmen der Sozialkassen zurückgehen als auch die Ausgaben der Sozialkassen steigen. Vielleicht schon in der nächsten Wirtschaftskrise, aber spätestens, wenn die Babyboomer in Rente gehen, wird das System kollabieren.

Solange die Arbeitslosigkeit niedrig ist – beziehungsweise durch unsichere Niedriglohnjobs niedrig gehalten wird – fällt die Krisenanfälligkeit des Systems nicht auf. Und es fällt auch nicht auf, wie viel ungerechter Deutschland in den letzten Jahren geworden ist. Die untersten 40 (!) Prozent der Bevölkerung haben in den letzten 25 Jahren reale Einkommensverluste hinnehmen müssen, nur die eh schon Reichen werden in Deutschland reicher und profitieren von der ach so tollen Wettbewerbsfähigkeit. Es ist schon längst Zeit für Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer und eine faire Versteuerung von Kapitaleinkünften. Stattdessen wurde die Mehrwertsteuer, die im Vergleich zur progressiven Einkommenssteuer Geringverdiener deutlich stärker belastet, um drei Prozent erhöht. Die zunehmende soziale Kluft zwischen arm und reich, zwischen oben und unten, fällt nicht auf, solange die Wirtschaft brummt. Aber es kann nicht gesund sein, dass die Kinder reicher Eltern zunehmend Privatschulen besuchen, weil die öffentlichen Schulen in einem miserablen Zustand sind. Dass die 2. Klasse im ICE mit jedem Redesign enger und unbequemer wird, während 1. Klasse-Passagiere mit immer neuen Services geködert werden. 

Auch der 1. Klasse-ICE-Fahrgast kommt eher selten pünktlich ans Ziel. „Verzögerungen im Betriebsablauf“ sind aber nicht die Ursache der Verspätung, sondern die Folge einer kaputtgesparten Infrastruktur: Deutschland investiert pro Kopf und Jahr 49 € in sein Schienennetz. In Italien sind es 82 €, in Österreich 210 €, in der Schweiz 351 €. Es ist kein Wunder, dass die Bahn nie pünktlich ist, wenn Güterzugumfahrungen und Überholgleise fehlen. Und es keine elektrifizierten Umfahrungsmöglichkeiten gibt, wenn nach einer Havarie die wichtige Rheintalstrecke gesperrt werden muss. Die schwarzen Nullen im Finanzministerium müssten den ausgeglichenen Staatshaushalt nicht aufgeben, um die (Eisenbahn- und Internet-)Infrastruktur zukunftstauglich zu machen. Sie müssten nur ihre ach so leistungstragende Kernklientel stärker an der Finanzierung beteiligen.

Im Vergleich zu den Reformen, die Italien in den letzten Jahren durchgeführt hat und denen, die in Frankreich nun kurz bevorstehen und denen, die man Griechenland aufgezwungen hat, sind die politischen Diskussionen und Entscheidungen in Deutschland lächerlich. Andere Länder reformieren ihr Wirtschafts-, Steuer- und Bildungssystem; CDU und CSU streiten über Ausländermaut und Obergrenze.

Nach 16 Jahren Kohlschem Aussitzen ist bei der folgenden kleinen Wirtschaftskrise schlagartig aufgefallen, dass Deutschland nicht darauf vorbereitet war. „Der kranke Mann Europas“ musste von Gerhard Schröder und seiner Agenda 2010 wachgerüttelt werden. Nun schläfert Angela Merkel das Land seit 12 Jahren wieder ein. Nach 16 Jahren Merkel würde das sich auf seinen derzeitigen Erfolgen ausruhende Deutschland wohl wieder „der kranke Mann Europas“ sein. Oder es entdeckt rechtzeitig, dass man JETZT Reformen anpacken muss und nicht, wenn es zu spät ist.

Noch ist es nicht zu spät: Am 24. September 2017 ist Bundestagswahl. Gehen Sie wählen! Und zwar die Richtigen.



Am 24.09. die Weichen richtig stellen, dann geht die Fahrt Richtung Frohe Zukunft!

Mittwoch, 6. September 2017

Die Bundestagswahl-Torte

Was soll man eigentlich wählen bei der Bundestagswahl am 24. September? Und soll man überhaupt wählen?

Frage 2 lässt sich leicht beantworten: JA!!!! Denn: Je höher die Wahlbeteiligung, desto geringer der Anteil der Extremisten.

Frage 1 ist schwieriger, weil die Unterschiede zwischen den Parteien ja scheinbar verwischen und das grottige TV-Duell auch keinerlei Erkenntnis gebracht hat (außer vielleicht, dass Peter Kloeppel ein passabler Bundeskanzler sein könnte).
Ich versuche deshalb einmal, die Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien mit einer Torte zu erklären. 
Man stelle sich die deutsche Wirtschaftsleistung als eine Torte vor, die in drei Stücke aufgeschnitten wird, die auf Ober-, Mittel- und Unterschicht verteilt werden (mir sei die in gewissen akademischen Kreisen verpönte Einteilung in Schichten verziehen, es geht hier ja bewusst um eine Vereinfachung).


Hier nun eine Kurzzusammenfassung der einzelnen Wahlprogramme bzw. Erfahrungswerte mit der jeweiligen Partei, jeweils erklärt anhand der drei Torten- bzw. Kuchenstücke:
  • CDU: Die Wirtschaft soll wachsen, also der Kuchen soll größer werden. Wie die einzelnen Stücke verteilt werden, ist relativ egal, Hauptsache Wachstum.
  • SPD: Die Wirtschaftsleistung soll gerecht auf die drei Kuchenstücke verteilt werden. Wenn dadurch das Wachstum des Gesamtkuchens verlangsamt wird, ist das relativ egal, Hauptsache soziale Gerechtigkeit.
  • FDP: Die Größe des Gesamtkuchens sollte idealweise wachsen, aber Hauptsache, das Kuchenstück der Oberschicht bleibt mindestens genauso groß wie bisher und niemand nimmt etwas davon weg.
  • Linke: Die Größe des Gesamtkuchens ist relativ egal, Hauptsache vom Kuchenstück der Oberschicht wird etwas weggenommen und dem Kuchenstück der Unterschicht hinzugefügt.
  • Grüne: Größe und Verteilung des Kuchens sind relativ egal, Hauptsache die Zutaten des Kuchens sind biologisch und nachhaltig, damit auch nachfolgende Generationen noch Kuchen essen können.
  • CSU: Größe und Verteilung des Kuchens sind völlig egal, Hauptsache der Kuchen kommt aus Bayern.
  • AFD: Größe und Verteilung des Kuchens sind völlig egal, Hauptsache der Kuchen wurde nicht von einem Ausländer gebacken.

Verstanden? Dann bitte am 24. September wählen gehen!

Nicht verstanden? Dann hier deine persönliche Wahlempfehlung:

  • Du willst, dass alles so bleibt, wie es noch nie war? Dann wähle CDU.
  • Du rechnest dich zur Oberschicht? Dann wähle FDP.
  • Du rechnest dich zur Unterschicht? Dann wähle Die Linke, oder, wenn dir deren außenpolitischen Zielsetzungen zu krass sind, SPD.
  • Du rechnest dich zur Mittelschicht? Dann hast du leider Pech gehabt, deine Interessen werden im Deutschen Bundestag nicht vertreten.
  • Du hast ein schlechtes Gewissen, weil dein Geländewagen so viel CO2 ausstößt und dein Einfamilienhaus so viel Energie schluckt? Dann wähle die Grünen.
  • Du kommst aus Bayern? Dann wähle CSU. Warum auch immer.

Du bist so blöd, dass du es tatsächlich immer noch nicht verstanden hast? Dann wähle AFD.



Mittwoch, 9. August 2017

Von der bürokratischen Herausforderung, ein Visum für den Iran zu beantragen

Angeblich kostet ein Visum für den Iran 50 € und die Bearbeitungszeit beträgt 10-15 Tage. Ich habe 133,18 € bezahlt und fast zwei Monate gewartet. Aber dafür war ich im Karwendelgebirge wandern und habe eine neue Nagelschere.

Mein Urlaubsziel für diesen Sommer: Teheran. Mit Zug und Bus durch Balkan, Türkei, Kaukasus und den Iran. Mein Wohnort: Bozen. Und Schöllkrippen. Ich besitze zwei Wohnsitze, aber nur eine Staatsbürgerschaft, die Deutsche. Damit ist klar, dass ich mein Visum in Deutschland beantragen muss. Ist mir eh lieber, bei der Wahl zwischen einer Behörde in Italien und einer Behörde in Deutschland würde ich mich immer für die Behörde in Deutschland entscheiden, auch wenn es eine iranische Behörde ist.

Aber wo in Deutschland? Es gibt eine Botschaft in Berlin und mehrere Konsulate. Das praktischste wäre natürlich Frankfurt, 54 Kilometer von meinem angeblichen und dem tatsächlichen Wohnsitz meiner Eltern entfernt, und auch meine Reisepartnerin wohnt in der Nähe. Auf den 54 Kilometern überquert man aber eine Grenze: die von Bayern nach Hessen. Weil Schöllkrippen seit dem Reichsdeputationshauptschluss vor gut 200 Jahren in Bayern liegt, ist das Konsulat in München für mich zuständig und nicht das in Frankfurt. München liegt von meinen beiden Wohnsitzen jeweils vier Stunden entfernt. Und nach der Auskunft des Konsulats in Frankfurt gehe ich davon, dass ich persönlich erscheinen muss, um mir das Visum in den Pass kleben zu lassen. Was einen Tag Urlaub nehmen bedeutet, weil Samstagsöffnungszeiten in Deutschland ebenso ungewöhnlich sind wie flexible Arbeitszeiten in Italien.

Mittwoch, 07.06.: Der Online-Visumantrag
Zumindest den Antrag kann man aber online einreichen. Das erledige ich am 07.06., mehr als zwei Monate vor Beginn der Reise. Eine Hoteladresse angegeben, ein ungefähres Einreisedatum bestimmt, Reisepass und Passbild hochgeladen und losgeschickt. Voll modern. Dank Trackingcode kann ich sogar jederzeit den Status meines Visumantrags überprüfen: „Waiting for verification“ steht da. 
Und das 20 Tage lang.

Dienstag, 27.06.: Der Anruf im Konsulat
Nach zahlreichen vergeblichen Anläufen erreiche ich endlich einen Mitarbeiter des Konsulats – die telefonische Sprechstunde beträgt immerhin eine Stunde pro Tag. Per Mail wurde ich vorher darüber informiert, dass per Mail nicht zu Visumfragen geantwortet wird.

Der unfassbar unfreundliche Mensch am anderen Ende der Leitung erklärt mir, dass ich noch lange auf meine Verification warten kann, wenn ich nicht endlich meinen Pass und den Zahlungsbeleg ins Konsulat schicke.

Pass und Zahlungsbeleg ins Konsulat schicken? Das hätten sie ja auch mal vorher sagen können. Oder auf der Website schreiben können. Warum gibt es einen Online-Antrag, wenn man doch alles per Post schicken muss? Und überhaupt: Erst bezahlen, dann kriegt man vielleicht ein Visum? Das Prinzip kommt mir bekannt vor: Das aserbaidschanische Visum, das ich für meine Reiseroute ebenfalls brauche, musste ich zweimal bezahlen. Beim ersten Versuch wurde der Antrag nämlich abgelehnt, beim zweiten Mal dann genehmigt, aber bezahlen musste ich zweimal.

Also gut, Geld überwiesen. 50 € vielleicht futsch. Kontoauszug ausgedruckt, elektronischen Antrag nochmal ausgedruckt, Reisepass dazu. Mitsamt Passfoto und frankiertem Rückumschlag soll ich das nach München schicken. Der frankierte Rückumschlag muss natürlich an die auf dem Antrag angegebene Adresse in Deutschland gehen. Also brauche ich deutsche Briefmarken. Fuck. Außerdem würde ich der italienischen Post nach den Erfahrungen der letzten zweieinhalb Jahre niemals meinen Reisepass anvertrauen. Also spontaner Plan: am Samstag nach Mittenwald fahren. 100 Kilometer Luftlinie, für die die Post vier Tage braucht und die Bahn dank beschissenem Übergang in Innsbruck vier Stunden.

Samstag, 08.07.: Die Reise nach Mittenwald
Bei Abfahrt in Bozen um 7:32 Uhr bin ich um 11:35 Uhr in Mittenwald, laut Internet schließt die Postfiliale im Bahnhof Mittenwald um 12 Uhr. Die Deutsche Bahn ist nicht Teil der Reisekette, also könnte es sich pünktlich ausgehen.

Der beschissene Übergang führt dazu, dass ich in Innsbruck eine Stunde Zeit habe, ein Passfoto zu machen. In Bozen steht zwar wie in den meisten italienischen Bahnhöfen ein Passbildautomat, aber der Geldautomat spuckt nur 50 €-Scheine aus und zum Geldwechseln reicht die Zeit nicht mehr. Es wird in Innsbruck schon auch einen Passbildautomat am Bahnhof geben.

In Innsbruck am Bahnhof gibt es keinen Passbildautomat. Was nun? Hausverstand oder Google? Hausverstand sagt: Ins Kaufhaus Tyrol gehen, da gibt es entweder einen Passbildautomat oder einen Infocounter, an dem man fragen kann, wo ein Passbildautomat steht. Google sagt: Am Innrain 41 gibt es einen Fotoautomat. Ist zwar eine ganze Ecke weg, aber ich bin ja gut zu Fuß.

Hausverstand oder Google? Ich habe mich leider für Google entschieden.

Am Innrain 41 gibt es keinen Fotoautomat. Nur eine Galerie und pensionierte Anrainer, die verdutzt aus dem Fenster schauen, wenn ein junger Mann im Hinterhof einen Fotoautomat sucht. Zeit für den Hausverstand: Schnellen Schrittes ins Kaufhaus Tyrol. Da gibt es zwar auch keinen Fotoautomat, aber einen Infocounter, an dem ich erfrage, dass es gegenüber in der Rathausgalerie einen Fotoautomat gibt.

Kurz bevor ich die Suche nach dem Fotoautomat aufgebe, fällt mir auf, dass ich ja nach wie vor kein Kleingeld habe. Also erstmal einen Cappuccino To Go für 2,80 €. Damit bin ich jetzt schon bei 52,80 € Kosten für das Visum. Dank Koffein und dem lokalen Gemüsehändler finde ich schließlich im Untergeschoss den Fotoautomat. 7 € reinschmeißen, nicht lächeln, zack, bumm, fertig – 5 Passbilder. Neuer Zwischenstand: 59,80 €.

Alle 5 Passbilder ans Konsulat schicken wäre ja Verschwendung, und sie haben ja explizit geschrieben „1 Passbild“. Ich will ihnen keine Begründung mitliefern, meinen Antrag abzulehnen. Also brauche ich eine Schere. Wo krieg ich jetzt auf die Schnelle eine Schere her? Bei Bipa. Für 9,95 €. Neuer Zwischenstand: 69,75 € Euro für das Visum. Ich wünsche der Kassiererin ein schönes Wochenende und eile zurück zum Bahnhof. Zwei Minuten vor Abfahrt und leicht schwitzend erreiche ich den Zug nach Mittenwald. Während der Fahrt schneide ich mein Passbild aus. 

Ich komme pünktlich in Mittenwald an, betrete das Bahnhofsgebäude – und sehe einen Passbildautomaten. Hier hätte es nur sechs Euro gekostet. Und wäre 58 Minuten schneller gegangen. 

Leicht zu finden: Passbildautomat in Mittenwald.
Deutsche Post in Mittenwald: Kurze Wartezeit, freundliche und kompetente Angestellte – wenn ich die Zeit im Zug als Qualitätszeit (wann hat man schonmal Zeit zum Lesen?) verbuche, dann ist es effizienter und angenehmer, ins Postamt nach Mittenwald zu fahren, als Ewigkeiten im Bozener Postamt in der Schlange rumzustehen, bis man endlich von einer unfähigen Beamtin bedient wird.

Super Service: Deutsche Post in Mittenwald
Ich bestehe darauf, genau die Umschlaggröße zu verwenden, die das Konsulat empfiehlt, koste es, was es wolle, stecke sämtliche geforderten Unterlagen samt dem teuer erkauften und erschnittenen Passbild in das Kuvert. Zack, bumm, fertig – abgeschickt. 7,60 € kostet der Spaß. Und mein Antrag ist auf dem Weg nach München.

Neuer Zwischenstand: 69,75 €
Ich hingegen mache mich auf den Weg ins Karwendelgebirge – schließlich muss ich ja erst am Abend zurück nach Bozen. Wenn ich schonmal hier bin… kann ich auch 1.400 Höhenmeter, 430 Tunnelmeter und 55 Fotos lang durch das Karwendelgebirge wandern. Die vielleicht schönste Wanderung, die ich heuer gemacht habe. Und zu verdanken habe ich sie dem iranischen Konsulat. 

Am Ende einer wunderbaren Wanderung: Mittenwald aus der Vogelperspektive.

Dienstag, 11.07.: Die Whatsapp aus Schöllkrippen
Ich checke mal wieder den Status meiner Visum-Anfrage. Unverändert „waiting for verification“. Quasi gleichzeitig schickt mir meine Mutter eine Whatsapp: Zuhause ist ein Brief vom iranischen Konsulat angekommen. Sie schickt mir Fotos. Es ist mein frankierter Rückumschlag. Mein Passbild. Mein Pass. Mein Zahlungsbeleg. Mein Online-Antrag. Also alles, was ich ihnen geschickt habe. Zusätzlich noch ein nicht ausgefüllter Offline-Visumantrag. Visum ist keins dabei.

Ich überlege kurz, ob ich weinen oder lachen soll. Ich entscheide mich für lachen. Was soll das? Begleitbrief gibt es keinen. Telefonsprechstunde gibt es erst wieder morgen von 14 bis 15 Uhr.

Der subtile Hinweis mit dem leeren Formular – ich soll das also ausfüllen? Aber das habe ich doch Online schon alles ausgefüllt? Wofür gibt es denn die Online-Beantragung? Und warum, verdammt nochmal, sagen sie mir das nicht einfach, statt 7,60 € Portogebühren vollständig zunichte zu machen, indem die ganze Scheiß Prozedur mit Umschlag und Rückumschlag jetzt wieder von vorne starten muss? Warum behalten sie den Pass nicht einfach in München und bitten darum, den bereits ausgefüllten Antrag nochmals auszufüllen und nachzureichen? Was soll der Scheiß? Haben sie sich durch den USA-Stempel in meinem Pass provoziert gefühlt? Oder durch den Poststempel aus Mittenwald, wo vielleicht mal amerikanische Gebirgsjäger stationiert waren? Meine positive Grundhaltung gegenüber dem Iran (die ich mir trotz deutschem Medienkonsum bislang erhalten konnte) schwindet. Ich versteh es einfach nicht. 

Zwischenzeitlich hat sich übrigens nach erneuter Nachfrage endlich das Hotel in Teheran mal gemeldet, das ich im ersten Visumantrag angegeben hatte und wo ich unter Angabe meiner Kreditkartennummer zwei Zimmer gebucht hatte.
Das Hotel gibt es seit sechs Monaten nicht mehr.

Mittwoch, 12. Juli: Die italienische Post
Ich finde den blöden Antrag, der unausgefüllt in Schöllkrippen liegt, auf der Botschafts-Website. Aber ich muss ihn selber ausfüllen und vor allem unterschreiben. Und danach aus Bozen nach Schöllkrippen schicken. Hätten sie doch einfach den Pass in München behalten… Sei es drum: Ich begebe mich zur Post, verschwende dort meine Zeit und gebe 2,70 € dafür aus, dass das Formular möglichst schnell nach Schöllkrippen gelangt.

Am nächsten Tag ist es noch nicht da. Nach zwei Tagen auch nicht. Nach drei Tagen auch nicht. Nach einer Woche auch nicht.

Mittwoch, 19. Juli: Manuels Absage
Manuel kriegt kein Visum für den Iran. Begründung: Keine. Nach einem Telefonat mit der Botschaft ist er so schlau als wie zuvor und gibt die Hoffnung auf, dass er mit uns in den Iran fahren kann. Er kann also nur bis Aserbaidschan mitkommen. Für seine Freundin wird die Reise ebenfalls in Baku zu Ende sein. 

Von vier kleinen Jägermeistern bleiben nur noch zwei, die theoretisch in den Iran einreisen können. Falls mein Antrag irgendwann in Deutschland ankommt.

Donnerstag, 20. Juli: Die Statusänderung
Auch nach 8 Tagen ist der Brief noch nicht in Schöllkrippen angekommen. Ich telefoniere mit meiner Mutter und gehe verschiedene Optionen durch. Dass mein Vater meine Unterschrift fälscht ist keine.
Immerhin: Mein Visum-Status ist mittlerweile accepted. Das iranische Innenministerium wäre also damit einverstanden, dass ich ihr Land bereise. Jetzt hängt es irgendwann am Konsulat in München. Aber vorerst an der italienischen Post.

Ich überlege mir einen Plan B: Eine erneute Reise zu einem deutschen Briefkasten. Das mit der italienischen Post scheint ja nichts zu werden. Ich könnte nächstes Wochenende in München eine Freundin treffen. Und von München den Brief, den ich in Bozen 11 Tage vorher verschickt hatte, erneut verschicken. Damit der Inhalt von Schöllkrippen zurück nach München, von dort samt Pass wieder nach Schöllkrippen und von dort samt Reisepartnerin wieder nach München gelangen kann.

Deutschland diskutiert gerade darüber, eine Einreisewarnung für die Türkei zu verhängen. Sicher, demokratisch ist die Türkei schon lange nicht mehr. Aber sie ist nicht unser größtes Problem vor der anstehenden Reise…

Sonntag, 23. Juli: Die Reise nach München
Die Reisekosten nach München fließen nicht in die Kostenrechnung mit ein, ich wäre eh hingefahren. Aber die 1,45 € für die Briefmarke, die mir Svenja aus Karlsruhe mitgebracht hat, schon. Ausgefülltes Antragsformular ins Kuvert, Briefmarke drauf, Brief in den deutschen Briefkasten. Direkt ins Konsulat bringen bringt ja nichts, weil die Schlaumeier meinen Pass ja nach Schöllkrippen geschickt haben. Würde ich Pass und Antrag getrennt an sie schicken, würden sie das, was zuerst kommt, bestimmt gleich wieder zurückschicken. Deshalb der Postweg von München über Schöllkrippen nach München. Damit befinden sich nun zwei identische Briefkuverts mit identischem Inhalt auf dem Weg nach Schöllkrippen. Eines mit deutscher Briefmarke, eines mit italienischer. Welches wohl (zuerst) ankommen wird?

Mittwoch, 26.07.: Zwei Anträge in Schöllkrippen
Die Post ist da! Der Brief aus München hat Schöllkrippen erreicht. Und der aus Bozen auch. Beide am selben Tag. Drei Tage nach dem Einwurf in München, 14 Tage nach dem Versand in Bozen. Die italienische Post ist einfach nur zum Kotzen.

Die ganze Mühe mit dem erneuten Versand aus München war also völlig umsonst. Aber egal: Jetzt zählt jeder Tag, die Zeit drängt! Also bitte ich meinen Vater, noch heute das nun hoffentlich endgültig vollständige Kuvert samt frankiertem Rückumschlag bei der Post aufzugeben.

Leider ist heute Mittwoch. Der einzige Nachmittag in der Woche, an dem die Post-Dienststelle in Schöllkrippen geschlossen ist. Zum Glück gibt es 3 Kilometer weiter Krombach. Ein furchtbar langes, furchtbar langweiliges Straßendorf. Aber mit einer Post-Annahmestelle, die auch am Mittwochnachmittag Post annimmt. Auf geht’s. Es bleiben noch gut zwei Wochen, um meinen Pass von Schöllkrippen nach München, mit eingeklebtem Visum wieder von München nach Schöllkrippen und schließlich wieder zurück nach München zu bringen, wo ich die Reise am 11. August beginne. Es bleibt spannend. Wenn alles gut geht, steht der Reise nichts mehr im Weg. Wenn’s schiefgeht, hab ich gar keinen Pass und komme nicht mal nach Kroatien.

Dienstag, 1. August: Da ist das Ding!!!
Mir fällt vor Freude ein Steinbruch vom Herzen: Das Visum ist in Schöllkrippen angekommen. Und das, obwohl auf dem Rückumschlag eine Martin-Luther-Postkarte klebt. Lang lebe die islamische Republik! In 10 Tagen kann die Reise starten.


Gesamtkosten:
50 € Visum
7,60 € (Mittenwald) + 7,60 € (Krombach) + 2,70 € (Bozen) + 1,45 € (Karlsruhe/München) = 19,35 € Portokosten
7 € Passbilder
2,80 € Cappuccino in Innsbruck
9,95 € Nagelschere
21,60 € Ticket Innsbruck – Mittenwald und zurück
22,48 € Ticket Bozen – Innsbruck und zurück
Insgesamt: 133,18 €



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