Mittwoch, 28. Juni 2017

Stadt findet statt

Es sind immer seltener Politiker, die die wichtigen Entscheidungen treffen. Offensichtlich sind es die Städte, die handeln und entscheiden: Stadt findet statt.

Vor langer langer Zeit, als das Freibier noch 1.000 Lire gekostet hat, da waren es noch Politiker (ja, meistens tatsächlich Politiker, Politikerinnen gab es damals noch nicht viele), die wichtige Entscheidungen entschieden haben, die Beschlüsse beschlossen haben, die Geschichte gemacht haben. Napoleon Bonaparte in Paris, Franz Josef in Wien, Otto von Bismarck in Berlin. Es waren einzelne mächtige Menschen, die geherrscht haben – und nach denen alles benannt wurde: Der Code Napoleon, der Kaiserschmarrn, der Bismarck-Hering.

Dann kam die Demokratie. Und mit ihr die Gefahr, abgewählt zu werden, wenn man etwas falsch gemacht hat. Oder wenn man etwas Mutiges gemacht hat, dessen positive Effekte sich erst nach der nächsten Wahl einstellen. Nun kann man entweder aufhören, mutige Beschlüsse zu fassen – oder man hört auf, diese Beschlüsse mit den Namen einzelner Politiker in Verbindung zu bringen. Eine Alternative war schnell gefunden: Städte.

Ja, in der Politik des 21. Jahrhunderts sind es vor allem die Städte, die handeln: Moskau behauptet etwas, Washington widerspricht. London sitzt nicht mehr am Verhandlungstisch. Athen sind von Brüssel die Hände gebunden. 

Auch die Abkommen und Verträge des 21. Jahrhunderts sind nach Städten benannt: Schengen. Dublin. Lissabon. Maastricht. Athen verstößt gegen Maastricht, Stockholm setzt Schengen aus – wie reagiert Berlin?

Trotz der stattlichen Zahl an Städten in der EU gibt es natürlich ein Problem: Irgendwann sind alle Städtenamen aufgebraucht, für weitere Abkommen muss man sich etwas Neues ausdenken. Die naheliegende Lösung: Man nimmt einfach dieselbe Stadt nochmal und nummeriert durch. Also zum Beispiel „Dublin 2“. Dublin 2 hat sich aber nicht bewährt. 

Die sich aufdrängende Alternative ist es, die EU zu erweitern. Dann gäbe es neue Städte, nach denen man EU-Abkommen benennen könnte. Was wohl der Inhalt von „Belgrad“ oder „Novi Sad“ sein wird? Oder der von „Tirana“? „Antalya“ kommt wohl vorerst nicht in Frage. Oder aber, man nimmt kleinere Orte, so wie man es mit „Schengen“ ja schonmal probiert hat. Die Collage auf dieser Seite zeigt ein paar mögliche Kandidaten.

Anregungen für Städtenamen kann man sich ansonsten auch in der Kultur holen: Casablanca in Kino, Offenbach im Konzertsaal. Und in den Musik-Charts: New York, Rio, Rosenheim. 

Nicht nur in Politik und Kultur, auch im Sport haben Städte eine große Bedeutung: Leipzig vor Dortmund; Madrid gegen Barcelona; Manchester verkauft an Chicago. Paris gewinnt Kitzbühel.

Man vergisst ganz, dass Städte ja eigentlich Reiseziele sind. Man könnte zum Beispiel nach Norwegen fahren und ein Hammerfest feiern. So wie die Hamburg-Mannheimer in Budapest.
Aber dem steht wohl die italienische Bürokratie im Weg, denn: Alle Wege führen nach Rom.

Dieser Artikel wurde in der Straßenzeitung Zebra (Ausgabe 6/2017) veröffentlicht.
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