Freitag, 8. Februar 2019

Die bürokratische Herausforderung, in Italien zu kündigen

Alle behaupten immer, es sei so schwer, in Italien einen Job zu finden. Das Gegenteil ist der Fall: Es ist schwer, in Italien einen Job wieder loszuwerden! Um es doch zu schaffen, musste ich Gewerkschaftsmitglied werden.

Entweder ich hätte mich nicht dafür entscheiden dürfen, Italien wieder zu verlassen. Oder ich hätte niemals kommen dürfen. Aber irgendwas habe ich falsch gemacht. Im Land, in dem die Zitronen blühen, wuchert auch die Bürokratie. Und sie bringt seltsame Blüten hervor.

Job kündigen in Deutschland geht so: Man recherchiert im Arbeitsvertrag die Kündigungsfrist, schreibt und unterschreibt ein Kündigungsschreiben, drückt das seinem Arbeitgeber in die Hand, zack, bumm, fertig.

Job kündigen in Italien geht so: Man findet die Kündigungsfrist nicht im Arbeitsvertrag, sondern mit viel Glück und hilfreicher Kollegin irgendwo im italienischen „Kollektivvertrag“. Man kann dann zwar ein Kündigungsschreiben verfassen und dem Arbeitgeber in die Hand drücken – das bringt aber nichts. Kündigungsschreiben können ausschließlich per PEC-Mail an den Arbeitgeber geschickt werden. PEC-Mail ist so eine Art Einschreiben per E-Mail, man kann also sicher sein, dass die Mail wirklich ankommt. Und dass sie wirklich vom Arbeitnehmer stammt. Es soll nämlich in Italien im großen Stil vorgekommen sein, dass sich Arbeitgeber von neu eingestellten Angestellten gleich bei Dienstantritt die Kündigung haben unterschreiben lassen. Wenn der Angestellte sich nicht bewährte oder die Angestellte plötzlich schwanger wurde, konnte der Arbeitgeber auf dem bereits unterschriebenen Kündigungsschreiben ein Datum ergänzen, zack, bumm, fertig, schon ist man den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin wieder los.

Um solchen Missbrauch zu vermeiden, kann man also nurmehr per PEC-Mail kündigen. Jedes italienische Unternehmen besitzt eine PEC-Mailadresse. Privatpersonen eher nicht, ich als Ausländer sowieso nicht. Ohne SPID (ein zertifizierter digitaler Login für Bürgerdienste) kann man keine PEC beantragen, und ohne italienische Bürgerkarte und italienisches Konto kann ich keinen SPID einrichten. Also kann ich nicht kündigen?

Ich nicht, aber jemand anders kann es (natürlich gegen Gebühr) für mich übernehmen. Zum Beispiel der KVW (Katholischer Verband der Werktätigen). Welche absurden Dienstleistungen das absurde italienische „System“ hervorbringt… Meine Kündigungsfrist beträgt vereinfacht ausgedrückt einen Monat. Um zum 31.01. zu kündigen, muss die Kündigung also innerhalb Ende Dezember bei meinem Arbeitgeber eingehen. Das heißt für mich: Bevor ich Weihnachten nach Hause fahre, muss ich mich kündigen lassen, also spätestens am 21.12. Ich schreibe also Mitte Dezember dem KVW und erfahre dort, dass das Patronat des KVW (was auch immer das ist) zuständig ist, das aber woanders sitzt. Und wo man angeblich einfach hingehen und eine Wartenummer ziehen kann. Was ich am nächsten Tag, dem 20.12., nach Feierabend vorhabe. Ich habe alles dabei, was ich laut Internetinfo brauche – aber das Büro hat leider schon geschlossen. Ich fotografiere die Öffnungszeiten und denke mir: Morgen ist ja auch noch ein Tag. Wenn auch der letzte.


Am nächsten Morgen gehe ich also wieder zum KVW-Patronat – und finde dort einen Zettel, der am Vorabend noch nicht hing: Heute wegen einer Fortbildungsveranstaltung geschlossen.
Mit etwas dickem Hals begebe ich mich ins Büro. Die einzige Möglichkeit, doch noch zum 31.01. zu kündigen, ist also, für ein Schweinegeld eine neue frühere Rückfahrt nach Südtirol für den 28.12. zu buchen. Oder gibt es etwa doch noch einen Plan B?

Ein Kollege erzählt mir, dass auch die Gewerkschaft den Service anbietet, Arbeitnehmer zu kündigen. Es ist der Freitag vor Weihnachten – ob da bei der Gewerkschaft noch jemand erreichbar ist? Telefonisch schonmal nicht. Also gehe ich persönlich hin – und entdecke auf der Tür den Zettel: „Unsere Büros bleiben während der Weihnachtszeit vom 22.12 bis 01.01.2019 geschlossen.“



Mir fällt auf, dass heute ja erst der 21. Ist. Und tatsächlich: Sie haben noch geöffnet. Nach der obligatorischen Wartezeit erfahre ich, dass der Service nur für Mitglieder angeboten wird. Keine Ausnahme. Wirklich nicht, auch wenn man in einem Monat Italien verlässt? Wirklich nicht. Was kostet die Mitgliedschaft? 75 € pro Jahr. Verlängert sie sich automatisch? Nein. Ok. Ich gehe davon aus, dass eine neue Rückfahrkarte am 28.12. auch mindestens 75 € kosten würde und stimme der depperten Mitgliedschaft zu. Nun bin ich also im Jahr 2019 in Italien Gewerkschaftsmitglied, obwohl ich da gar nicht mehr wohne. Nur, damit ich meinen Job kündigen kann. Krank, absurd, bescheuert. Und besonders dreist: Die 75 € muss ich bar zahlen, ohne Quittung. Ich bestehe aber auf einen Mitgliedsausweis, den der Gewerkschaftsmann zähneknirschend ausstellt. Guter Versuch, sich ein „kleines“ Weihnachtsgeld dazuzuverdienen, aber ganz blöd bin ich auch nicht.



Langer Aufenthalt bei der Gewerkschaft, kurzer Sinn: Ich wurde gekündigt. Die entsprechende Bestätigung druckt mir der Gewerkschaftsmann aus. Ende gut, alles gut: Ich verbringe Weihnachten zu Hause in Deutschland mit dem schönen Gefühl, dass ich nur noch einen Monat lang durch das Hamsterrad gegen Wände rennen muss…

…bis mich am 08.01. im Büro die Chefsekretärin anruft: Es gäbe da Gerüchte, dass ich die Firma verlassen werde… Ich so: „Ja, tut mir leid, ich habe tatsächlich gekündigt.“ Sie so: „Nein, hast du nicht.“ Laut ihr ist bei meinem Arbeitgeber nie eine Kündigung eingegangen.

Es ist keine Kündigung eingegangen?!

Ich nehme mir am nächsten Tag frei und werde erneut bei der Gewerkschaft vorstellig. „Sie sagen, am 22. Dezember? Da war ich nicht da. Das muss eine Kollegin gewesen sein.“ Cazzo. Es ist mir scheißegal, WER mich gekündigt hat, ich will bestätigt haben, DASS mir gekündigt wurde. Die Gewerkschaftsfrau bestätigt es mir schließlich. Und nicht nur sie: „Das Ministerium hat das auch bestätigt.“ Was auch immer das Ministerium in Rom mit meiner Kündigung zu tun hat. Hauptsache, ich habe schwarz auf weiß, dass ich zum 31.01. gehen darf. Und die Chefsekretärin auch. Es folgen ein langer E-Mailverkehr und mehrere Gespräche mit ihr. Anscheinend ist die PEC-Mail schlicht und ergreifend nicht bei meinem Arbeitgeber angekommen. Wie gesagt, so eine Art digitales Einschreiben. Dass man deshalb verwendet, weil man sich dann sicher sein kann, dass es ankommt.

Am 17.01. erhalte ich endlich die Nachricht, auf die ich seit fast einem Monat warte: Meine Kündigung wird vom Arbeitgeber bestätigt. Ich habe es geschafft.

Die nächste Herausforderung: Internet kündigen


Am 20.01. gehe ich die nächste Hürde an: Internet kündigen. Laut Vertrag haben wir einen Monat Kündigungsfrist. Passt, die Nachmieterin zieht ja erst Anfang März ein, also Ende Januar kündigen. Aber wo und wie kündigt man? Das steht nicht im Vertrag. Ich registriere mich im Kundenportal, ich durchsuche mit Wörterbuch-Unterstützung die komplette Website – und finde nichts außer einer Postadresse in Mailand. Nicht einmal eine E-Mailadresse finde ich. Also breche ich die Onlinesuche ab und besuche am nächsten Abend nach Feiertag das lokale Offlinebüro unseres Internet-Dealers. Dort erklärt man mir, wie ich meinen Internetvertrag kündigen kann: Indem ich ein Formular ausfülle, das ich samt einer Kopie meines Ausweises nach Mailand schicke. Per Post!! Ich muss einen Brief schicken, um mein Internet zu kündigen! Ein Unternehmen, dessen Geschäftszweck der Verkauf von Internet ist, bietet keine Möglichkeit an, via Internet einen Vertrag zu kündigen. Ich fasse es nicht – und nehme das Formular mit nach Hause. Verschicken muss ich es nämlich selber, das stellt der Offlineshop-Mitarbeiter, dessen Obergeschoss nicht vollständig ausgebaut ist, klar. Immerhin macht er gleich eine Kopie von Personalausweis und Steuernummer. Weder er noch ich merken, dass auf der Rückseite der Steuernummer-Karte ein anderes Dokument klebt. Die Anlage meines Kündigungsschreibens umfasst jetzt also eine Kopie von Personalausweis (vorne und hinten), Steuernummer (vorne) und – Organspendeausweis.

Im Internet-Kündigungsformular muss man ganz viel Zeug ankreuzen und ausfüllen – nur nicht ein Kündigungsdatum. Die Kündigung wird wirksam 30 Tage nachdem das Schreiben in Mailand ankommt. Was für eine Sch… Die italienische Post und ihre Lieferzeit nach Mailand entscheiden also darüber, wann ich in Bozen kein Internet mehr haben werde. Wahnsinn.

Auf dem Formular finde ich im Kleingedruckten, dass man auch per PEC-Mail kündigen könnte. Genau, das ist das Verfahren, bei dem man ganz sicher sein kann, dass die Mail auch ankommt. Außer, sie kommt nicht an. PEC-Mailadresse kann ich nicht registrieren, also mal wieder zwei Stunden in der f* italienischen Post verbringen, um ein Einschreiben nach Mailand aufzugeben? Nein, ich nehme den Brief nach Deutschland mit und verschicke ihn von dort. Ist nicht nur schneller und sicherer, sondern sogar billiger. Und hat sich ja schonmal bewährt.

Die letzte Herausforderung: Zweisprachigkeitsnachweis 


Der Job ist gekündigt; der Internet-Kündigungsbrief ist verschickt; die Wohnungsübergabe ist soweit geregelt. Also alles paletti? Fast: Ich würde Italien gerne mit einem Zweisprachigkeitszertifikat A (Level C.1) verlassen. Quasi mein Rückfahrschein. Eine entsprechende Italienischprüfung habe ich am 19. November absolviert. Und zwei Monate später noch immer kein Ergebnis. Ich erlaube mir am 20. Januar, in der Sprachschule nachzufragen, ob man mir bitte die Matrikelnummer geben kann, mit der ich online checken kann, ob das Ergebnis schon vorliegt (auch wenn das Zertifikat sich noch auf dem Postweg nach Bozen befindet). Die Nummer hatten sie mir nämlich vergessen zu geben. Zwei Tage später erhalte ich eine Antwort von der Sprachschule: „Gentile candidato/a, congratulazioni per aver superato l’esame CELI! In allegato alla presente troverà il punteggio dettagliato delle singole prove e il certificato sostitutivo.” Ich habe die Prüfung also bestanden. Und die Sprachschule hat mutmaßlich einfach wochenlang vergessen, mir das Ergebnis weiterzuleiten. Gut, dass ich nachfragt habe.

Eine Woche später, am 28.01., erhalte ich erneut eine E-Mail von der Sprachschule, eine erneute Antwort auf meine Anfrage vom 20. Januar: „Buon pomeriggio, il suo numero di matricola é: 80009247.“ Das ist also die Matrikelnummer, mit der ich jetzt nachschauen könnte, ob das Ergebnis schon feststeht. Die brauche ich natürlich nicht mehr, nachdem mir dieselbe Person sechs Tage vorher das Prüfungsergebnis geschickt hat. Nicht wundern, freuen.

Mit der bestandenen Italienischprüfung ist es natürlich nicht getan, ich will ja einen Zweisprachigkeitsnachweis. Nur dieser berechtigt zu einer dauerhaften Anstellung in Südtirols öffentlichem Sektor. Neben der Italienischprüfung muss ich also auch eine Deutschprüfung absolvieren. Ja, ich deutscher Staatsbürger und Muttersprachler muss nachweisen, dass ich Deutsch kann. Mit schriftlicher Prüfung am Vormittag und mündlicher Prüfung am Nachmittag. Dafür muss ich aber erst einen Antrag stellen, dass der italienische Teil durch die oben genannte Prüfung bereits erledigt ist. Und diesen Antrag darf ich erst stellen, wenn dessen Ergebnis vorliegt. Also jetzt. Danach muss ich auf einen Prüfungstermin warten – etwa vier Monate lang. Irgendwann ungefähr im Mai darf ich also diese völlig sinnfreie Prüfung ablegen. Falls mein Antrag akzeptiert wird.

Den Antrag kann man nur online stellen. Und dafür braucht man seit 01.01.2019 einen – richtig, einen SPID! Den ich nicht habe. Also gehe ich am 30.01. (vorher ging nicht, leider sind die Öffnungszeiten mit meinen Kernarbeitszeiten deckungsgleich) in die Dienststelle für Zwei- und Dreisprachigkeitsprüfungen (doch, die heißt wirklich so!) und erreiche nach langer Diskussion, dass ich den Antrag vor Ort stellen kann. Und das auch nur, weil eine dazugeholte Kollegin bestätigt, dass ich ohne italienische Bürgerkarte keinen SPID-Zugang anlegen kann. Ich fülle das Formular aus, die Mitarbeiterin scannt mein Zertifikat ein, ich werde mit den Worten verabschiedet, dass ich per E-Mail über den Prüfungstermin informiert werde.

Am darauffolgenden Tag erreicht mich tatsächlich eine E-Mail. Darin steht (ich korrigiere den Fehler bewusst nicht): „Ihr Gesuch um Anerkennung Ihres Sprachzertifikats wurde angenommen und in unsere Datenbank eingegeben worden, obwohl Sie das Sprachzertifikat nicht beigefügt haben (Sie haben lediglich eine Bestätigung über das Prüfungsergebnis eingereicht). Damit es freigegeben werden kann, um den Vorgang für die einsprachige Prüfung einleiten zu können, benötigen wir die Kopie Ihres Sprachzertifikats.“

Ob die Angestellte nur vergessen hat, das richtige Dokument einzuscannen oder ich nun tatsächlich bei der ausgebenden Stelle in Perugia nochmal ein komplett anderes Zertifikat ansuchen muss? Ich habe keine Ahnung. Und auch keinen Nerv mehr für diese hirnrissige italienische Bürokratie.

Fazit: Die Entscheidung, zurück nach Deutschland zu gehen, war wohl die richtige. Aber ich hatte mir ihre Umsetzung leichter vorgestellt.

1 Kommentar:

  1. Liest sich wie ein Krimi. - Dagegen ist es ja fast langweilig, in Deutschland zu wohnen.
    Gruß, Gregor

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