Mittwoch, 15. Februar 2017

Rechts vor links

Wenn der Beifahrer „rechts ist frei“ ruft, dann meint er damit nicht, dass man in einem Rechtsstaat frei leben kann. Obwohl das von Rechts wegen so sein sollte – alles andere wäre rechtswidrig. Er meint damit, dass von rechts kein anderes Fahrzeug kommt. Und hat damit hoffentlich Recht: Sollte er auf dem rechten Auge blind sein, könnte der Abbiegevorgang sonst schnell ins Auge gehen.

Warum leben wir eigentlich in einem Rechtsstaat? Einem Staat voller Rechtsanwälte, Rechtssicherheit und Rechtsstreits. Warum leben wir nicht einem Linksstaat? Warum gibt es keine Linksanwälte und keine Linkssprachlichkeit? Während die meisten Ableitungen von rechts (Rechtsstaatlichkeit, Rechtsanspruch, Rechtssicherheit) positiv konnotiert sind, denkt man bei „links“ gleich an linkisch, also unehrlich. „Rechts vor links“ gilt also nicht nur im Straßenverkehr. Unabhängig davon, ob gerade Mitte-rechts oder Mitte-links regiert.

Kann es ein Zufall sein, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung aus Rechtshändern besteht und nur 10-15 Prozent der Bevölkerung (darunter der sich selbst für links haltende Autor dieser Zeilen) Linkshänder sind?

Und wo sich in diesem Beitrag schon alles um rechts dreht: Unser Körper verfügt ausschließlich über rechtsdrehende Milchsäure! Linksdrehende Milchsäure wird vom Organismus langsamer aufgenommen und ist für Säuglinge ungeeignet*.

Auf unseren Straßen herrscht seit langer Zeit Rechtsverkehr, der Linksverkehr gilt als veraltet und wird in Europa nur noch in Großbritannien, Irland, Malta und Zypern praktiziert. In Italien gibt es seit den 1920er Jahren, in Österreich seit den 1930er Jahren keinen Linksverkehr mehr. Es waren also rechte Parteien, die den Rechtsverkehr durchgesetzt haben. Damit auch ja niemand vom rechten Weg abkommt.

Man könnte also denken, dass sich rechts gegen links durchgesetzt hat, in der Sprache wie im Verkehr. Der derzeitige Rechtsdrall der europäischen Politik passt da recht (nicht link) gut ins Bild. Aber dieser Beitrag wäre eine rechte Unverschämtheit, wenn er nicht auch auf positive linke und negative rechte Assoziationen hinweisen würde. Es gibt zum Beispiel deutlich mehr Linksintellektuelle als Rechtsintellektuelle (Zitat www.duden.de: „Leider haben wir zu Ihrer Suche nach 'Rechtsintelektuell' keine Treffer gefunden. Oder meinten Sie: antiintellektuell?“). Ich darf außerdem darauf hinweisen, dass Briefe ungewöhnlich aussehen würden, wenn sie rechtsbündig wären. Linksbündig hat sich nun Mal als Standard durchgesetzt. Und haben Sie im Internet schon mal eine Rechtliste gefunden? Die richtigen Verknüpfungen finden Sie wohl eher in einer Linkliste.

Links hat und haben in der deutschen Sprache also auch seine/ihre Berechtigung. Und auch wer sein Herz am rechten Fleck hat, sollte nichts links liegenlassen.

*Rechtsdrehende Milchsäurebakterien werden wissenschaftlich als L-plus-Laktat, die linksdrehenden als D-minus-Laktat bezeichnet. Das wird Ihnen völlig egal sein, aber jetzt, wo ich die Info versehentlich recherchiert habe, will ich sie natürlich auch als Fußnote einfügen.

Der Linksverkehr geht vor die Hunde

Dieser Artikel wurde in der Straßenzeitung Zebra (Ausgabe 2/2017) veröffentlicht.
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