Mittwoch, 1. Februar 2017

Warum ich nicht bei Amazon kaufe



Verödete Innenstädte, arbeitslose Verkäuferinnen,aussterbende Geschäfte: Daran ist weder Angela Merkel schuld, noch „die Ausländer“, noch die SPD. Sondern Menschen wie Sie und ich, die gerne online shoppen.

Ich kenne Julia vor allem von den alljährlichen Faschingssitzungen der KGS – dem lustigsten Anlass, in mein Heimatdorf Schöllkrippen zu fahren. Manchmal sehe ich sie auch in der Lesekatze, dem Buchladen in meinem Heimatdorf. Dort kann man stöbern, sich von Julia und ihren Kolleginnen beraten lassen und schöne Bücher kaufen. Oder man bestellt im Online-Shop der Lesekatze und holt die Bücher in der Filiale ab. Oder man lässt sich die Bücher nach Hause liefern. Fast so wie bei Amazon. Nur in sympathisch*. 

Anders als Amazon organisieren die Damen von der Lesekatze auch kulturelle Veranstaltungen. Real-World und Face-to-Face und so. Von StandUp Lesung über Literaturwanderung bis FrauenLeseNacht. Es sind Veranstaltungen wie diese, die das Leben auf dem Land lebenswert machen. Wenn es schon kein Kino und keine Konzerthalle gibt, dann wenigstens einen irischen Krimiabend.

Schwimmbad und Sportplatz gibt es in meinem Heimatdorf auch – aber nur, weil es Unternehmen gibt, die Steuern zahlen. Und zwar dort, wo sie Umsatz machen. Amazon gehört da leider nicht dazu.

Viele Menschen kaufen Ihre Bücher und sonstigen Kram trotzdem lieber bei Amazon. Weil es so schön bequem ist. Und weil sie scheinbar viel Geld sparen (was bei Büchern ja überhaupt nicht zutrifft, Stichwort Buchpreisbindung). Und weil sie scheinbar Zeit sparen (wie oft sind Sie schon am Postschalter in der Schlange gestanden, um ein online bestelltes Päckchen abzuholen?). Und weil ihnen Datenschutz völlig schnuppe ist (haben Sie schonmal bei „Liste finden“ auf Amazon die Mailadressen von Freunden und Verwandten eingegeben?)**.

Wenn man seine Bücher und Klamotten und Damenbinden und Olivenöl und Funklautsprecher bei Amazon kauft, dann hat man zwar teilweise einen persönlichen Nutzen. Aber man trägt aktiv zur Verödung der Innenstädte bei. Und zu den nervigen Lieferfahrzeugen, die ständig die Fahrradspur vollparken. Man sorgt dafür, dass kleine Innenstadtgeschäfte durch gesichtslose Lagerhallen auf der grünen Wiese ersetzt werden. Und dafür, dass Verkäuferinnen und Schauwerbegestalter ihren Job verlieren. Dafür, dass Bücher und andere Produkte nur noch gerankt und vermessen und ausgewertet werden – und nicht mehr geliebt und geschätzt.
Kurzum: Dafür, dass unser Sozialleben immer häufiger mit einem A beginnt. 

Die Konsumenten haben die Macht. Sie entscheiden, ob sich ein Einkaufszentrum rentiert und ob der kleine Laden um die Ecke überlebt. Ob wir unser Leben im Cyberspace verbringen wollen oder in einem attraktiven öffentlichen Raum. In Amerika mit seinen pervertierten großflächigen Einzelhandelsstrukturen betreibt Amazon mittlerweile sogar automatische Supermärkte, bei denen die Lebensmittel, die man in den Einkaufskorb legt, automatisch abgerechnet werden. Und alle Kassiererinnen arbeitslos sind. Andere finden das genial, ich finde das asozial. Wenn es in unserem Leben nur um eine algorithmisierte Rationalität ginge, dann könnten wir uns gleich durch Roboter substituieren lassen. 


Bevor ich mich zu sehr zum Moralapostel aufschwinge: Ich muss gestehen, dass ich mittlerweile selbst auch wieder einen Amazon-Account habe. „Audible“ ist einfach ein tolles Angebot für Hörbuch-Freunde, das noch niemand anders offeriert. 150.000 Hörbucher im Angebot, eines pro Monat im Abo: Einzigartig. Aber so wie dem „Kindle“ der sympathischere „Tolino“ gefolgt ist, wird „Audible“ vielleicht auch bald die „HörBar“ folgen, in der man  150.000 Hörbücher bestellen und mit einem Teil seiner Abogebühr einen Buchhändler seiner Wahl unterstützen kann

Das wäre eigentlich eine tolle Geschäftsidee. 

Aber soll bitte jemand anders gründen. Ich verbringe meine Freizeit lieber damit, Bücher zu lesen.

Bücher, die ich irgendwo gekauft habe.

Hauptsache nicht bei Amazon.


P. S.: Martin Schulz, ein gelernter Buchhändler, könnte der nächste deutsche Bundeskanzler werden. Können Sie sich einen gelernten Amazon-Algorithmen-Optimierer, der nur Zahlen und keine sozialen Kontakte kennt, als Kanzlerkandidat vorstellen?

* Selbstverständlich gibt es noch viele andere sympathische Amazon-Alternativen, z. B. die Osiandersche Buchhandlung, die Bücher klimaneutral per Lastenfahrrad ausliefert.

**Ok, ich gebe zu, das mit dem Datenschutz ist kein Argument. Den gibt es in der Dorf-Buchhandlung auch nicht. Wie schreibt Juli Zeh in Unterleuten so treffend: „Man musste nur ein handelsübliches Dorf besuchen, um zu verstehen, was der gläserne Mensch tatsächlich war.“ Unterleuten ist übrigens ein großartiges Buch – das man natürlich auch bei derLesekatzebestellen kann.


gesehen in: Istanbul

Dieser Artikel wurde zum ersten Mal im Battle of Blogs gepostet.

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