Freitag, 26. Oktober 2018

Von Italien nach Dänemark (Skandinavien 1)

Dem Rekordsommer entfliehen

Es kommt nicht so oft vor, dass man das Gefühl hat, live dabei zu sein, wenn Geschichte geschrieben wird. Am 11. September 2001 war das zum Beispiel der Fall. Oder im Sommer 2006, als die deutsche Nationalmannschaft und die deutsche Nationalflagge wiedergeboren wurden. Nun also der Rekordsommer 2018: Ganz Europa liegt unter einer Hitzeglocke, Bauern jammern über monatelange Dürre, Kreisläufe brechen zusammen, Wälder brennen. Was grün sein sollte, ist gelb. Die Geister, die man rief – endlich mal dauerhaft schönes Wetter! – wird man nicht mehr los.

„Und am wenigsten sind sie Durst und Hitze zu ertragen gewöhnt“, schrieb Tacitus über die Germanen. Wenn man sich das deutsche Gejammer über den Dürresommer 2018 anhört, dann scheint sich seit Tacitus nicht viel geändert zu haben.

Ich schließe mich dem Gejammere gerne an: Der Mensch braucht nicht kalt, der Mensch braucht nicht heiß, der Mensch braucht vor allem Abwechslung. Er braucht Übergangsjahreszeiten und abendliche Abkühlung. Er braucht im Winter Schnee und im Sommer Sonne. Aber genug ist genug und zu viel ist zu viel: 2018 war – zumindest in Südtirol – zu viel Winter und zu viel Sommer. Ein Hoch auf die Übergangsjahreszeiten! Ein Hoch auf Jetstreams und die gemäßigten Breiten. Aber bitte ein Hoch, das irgendwann einmal wieder von einem Tief unterbrochen wird. Ein Hoch auf das nächste Tief!

Genug gejammert, Rucksack gepackt und losgefahren: Ich flüchte in diesem Rekordsommer nach Skandinavien und bin tatsächlich froh, 38 Grad Außen- und 30 Grad Innentemperatur hinter mir lassen und meinen Kreislauf mal abkühlen zu können. Klar, auch in Schweden gibt es derzeit Rekordtemperaturen und nie dagewesene Waldbrände. Aber im Vergleich zu Norditalien erscheint mir das ganze doch recht erträglich.

Diesen Satz wird man von mir Sonnenliebhaber nicht oft lesen, aber: Ich freue mich auf den Norden!

Deutschland funkt nicht

„Jetzt sind wir in Deutschland, da funktioniert nichts mehr. In Österreich war jeder Zug auf die Sekunde pünktlich“, so der resigniert-amüsierte Kommentar eines Mitreisenden, als die Durchsage verkündet, dass sich die Weiterfahrt verzögert, weil wir auf einen verspäteten Gegenzug warten müssen. Sowas kann ja mal passieren. Aber warum passiert es immer in Deutschland, und warum passiert es in Deutschland immer? Und warum gibt es nur in Deutschland so dumme Züge wie diesen hier? Wenn man eine Steckdose sucht, muss man an die Decke gehen; wenn man sein Fahrrad aufhängen will, hat man ein Brett vorm Kopf; und die Gepäckfächer sind de facto nicht nutzbar.

Warum geht mir mein Heimatland neuerdings jedes Mal, wenn ich es besuche, auf den Sack? Warum funktioniert hier nichts mehr, keine Eisenbahn, kein Wlan, kein sozialer Ausgleich, kein Kohleausstieg, keine Verkehrswende, kein 21. Jahrhundert?

Warum gibt es nur in Deutschland so dumme Züge wie diesen hier?

Wohlgemerkt, der Autor dieser Zeilen wohnt in Italien, landläufig nicht dafür bekannt, gut zu funktionieren. Es fährt aber zumindest nicht so auf Verschleiß wie Deutschland das seit Jahren tut. Dummerweise liegt eben dieses Deutschland aber genau zwischen Italien und Dänemark, also muss ich da jetzt durch.

Dänemark macht Spaß

Routine-Passkontrolle. Kennt man ja leider auch wieder innerhalb des Schengen-Raums. Was eher überrascht: Der Zöllner hat Humor. Ist ja auch ein Däne und kein Deutscher. „Aufpassen, Mais ist gefährlich“, grinst er in fast akzentfreiem Deutsch zu meinem Sitznachbar, der sich lieber an einem Maiskolben verschluckt als endlich mal seinen Pass rauszusuchen. Der Sitznachbar betrachtet das wahrscheinlich als aktiven Widerstand gegen die Polizeigewalt. Als Deutscher weiß er zwar, wie man mit wenig Budget durch Dänemark kommt und dass Trekking-Sandalen gut zu atmungsaktiven Oberteilen passen, aber mit Humor kommt er nicht so klar. Seine Antwort: „Nein, Mais ist gesund!“

Der humorvolle Zöllner erklärt, dass es ein Witz sein sollte, der aber leider in die Hose ging (man stelle sich einen deutschen Grenzbeamten vor, der die Formulierung „ging in die Hose“ verwendet!) und verabschiedet sich mit den beiden Worten „gute Besserung!“. Lachen macht sich breit im deutsch-dänischen Zug. Nur einer lacht nicht mit.

Der Zöllner verlässt den Zug und geht hinaus in den Regen. Ja, Regen! Tatsächlich! Dänemark empfängt seine Besucher zuverlässig mit kühlen Temperaturen und Regen, auch im Rekordsommer 2018. Nach der Gluthitze der vergangenen Wochen empfinde ich den Regen tatsächlich als etwas Positives.

Das Land der Triebkopfschäden und Oberleitungsstörungen (ja, beides hatte ich heute Morgen auf dem Weg nach Hamburg und meine Frühstücksverabredung Christoph dort deshalb lange auf mich warten müssen) liegt hinter mir, vor mir liegt das humorvolle, hübsche Dänemark. Ich freu mich.

Ja, Regen! Tatsächlich!

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