Samstag, 11. April 2020

Die Welt nach dem Virus


Esslingen, 30.03.2021 – Die lang ersehnte Nachricht der WHO ist da: Der Impfstoff gegen COVID-19 ist zugelassen. In den nächsten Wochen werden Millionen von Menschen – beginnend mit Risikopatienten – geimpft werden und ein für alle Mal immun sein gegen das Corona-Virus, das die ganze Welt fast eineinhalb Jahre lang beschäftigt hat. Corona ist nun also endlich kein lebensgefährliches Virus mehr, sondern nurmehr ein kopfschmerzverursachendes mexikanisches Bier.

Es ist also Zeit, die Frage zu stellen: Was ist geblieben von der Pandemie? Natürlich großes Leid in den zahlreichen Familien, die Angehörige verloren haben. Eine weltweit gestiegene Arbeitslosigkeit, weil viele insbesondere kleinere Geschäfte nach dem Shutdown nicht wieder geöffnet haben. Die Staatsverschuldung ist fast überall gestiegen und somit die Vulnerabilität: Bei der nächsten vergleichbaren Krise werden viele Länder nicht mehr in der Lage sein, finanziell derart großzügig zu reagieren – aber vielleicht ist das ja auch gar nicht mehr nötig? 

Nicht, dass es nicht ähnliche Pandemien auch in Zukunft geben kann. Aber das Verhalten von uns allen hat sich in den letzten eineinhalb Jahren derart stark verändert, dass die nächste Krise wohl weniger tödlich sein wird. Auch in Europa ist es nun endlich üblich, dass Erkältete mit Mundschutz in der Öffentlichkeit unterwegs sind. Sich in die Hand zu nießen (und mit der Hand dann später Gegenstände im öffentlichen Raum anzufassen) – ist nun weltweit geächtet. Lebenswichtige Produkte werden auch wieder in Hochlohnländern produziert. Überhaupt hat sich in der Corona-Krise herauskristallisiert, dass Gesundheit wichtiger ist als Profite. Nur so ist zu erklären, dass der deutsche Staat private Krankenhäuser wieder verstaatlicht hat. Es geht nicht nur im deutschen Gesundheitssystem nun wieder vermehrt darum, Menschen zu heilen, Angestellte menschenwürdig zu behandeln und Kapazitäten für den Ernstfall vorzuhalten. Die Zeit der Fallprämien für sinnlose Operationen ist vorbei, die Zeit für eine Bürgerversicherung anstelle der bislang vorherrschenden Zweiklassenmedizin scheint gekommen. 

Endlich darf man auch wieder das Haus verlassen, um links oder rechts abzubiegen.


Auch gesellschaftlich hat sich einiges geändert: Lehrer und Pflegekräfte werden seit der Krise deutlich höher angesehen – letztere auch endlich deutlich besser bezahlt. Viele Eltern mussten in der quälend langen Phase der Schulschließung einsehen, dass ihre kleinen Kackbratzen doch keine Wunderkinder sind. Und Väter im Homeoffice haben erstmals verstanden, wie viel Arbeit Hausarbeit ist. Überhaupt Homeoffice: Das Arbeitsleben in Deutschland hat sich stark verändert. Die Zahl der Menschen, die zumindest teilweise im Homeoffice arbeiten, hat sich auf ein Maß erhöht, das vorher nur aus Skandinavien und den Niederlanden bekannt war. Plötzlich geht vieles digital, wofür vorher lange Dienstreisen und kurze Flüge nötig waren. 

Nicht nur der stark gesunkene Flugverkehr hat 2020 zu einem Jahr gemacht, in dem sich die Natur vom Menschen erholen konnte. Vieles spricht dafür, dass ein paar der Umweltschutzerrungenschaften erhalten bleiben: Jetzt, wo sich Videokonferenzen flächendeckend durchgesetzt haben, wird es weiterhin weniger Dienstreisen geben als vor der Pandemie. Und jetzt, wo die Menschen in chinesischen Großstädten mal wieder wissen, wie sich saubere Luft einatmet und die verblieben Bewohner von Venedig wieder wissen, wie saubere Kanäle ausschauen, wollen sie diese Errungenschaften unbedingt beibehalten und setzen sich vehement dafür ein. 

Ein tödliches Virus als Blaupause für die Rettung des Planeten? Um das beurteilen zu können, ist es noch zu früh. Aber dass Donald Trump und Boris Johnson die Corona-Krise politisch nicht überlebt haben, dürfte für künftige internationale Umweltschutzvereinbarungen eine gute Nachricht sein.

Solche Fotos konnte man 2020 an vielen Orten machen, auch in Esslingen


Wer die Corona-Krise nach anfänglichen Schwierigkeiten gut überstanden hat, ist die Europäische Union. Lange hatte es gedauert, bis sich Europa solidarisch gezeigt und Spanien und Italien großzügig unterstützt hat, letztendlich dann ja doch auch mit Euro-Bonds, auch wenn die auf deutschen Wunsch hin nicht so heißen durften. Auch die EU-skeptischen Regierungen in Polen, Ungarn und der Slowakei profitieren davon, dass in der EU produzierte Schutzmasken und Beatmungsgeräte innerhalb der Union nach Bedürftigkeit verteilt wurden und wohl auch künftig werden. Die Erkenntnis, dass man nur gemeinsam stark ist, hat sich am Ende durchgesetzt.

Wie wir heute wissen, war die Nation in Europa mit den meisten Todesopfern nicht Spanien oder Italien, sondern das Vereinigte Königreich. Unterstützung aus der EU hätte sicher geholfen, aber aus der ist man ja kurz vor Ausbruch der Krise ausgeschieden. Umfragen zufolge wünschen sich aktuell 73 % der Briten eine Rückkehr in die Europäische Union. Die Braccess-Debatte ist eröffnet.

Wir warten also darauf, wie sich die Debatte in Großbritannien weiterentwickelt. Freuen uns auf Europameisterschaft und Olympische Spiele, die ja nun bald nachgeholt werden. Und ignorieren hoffentlich die Ignoranz der Impfgegner, die mit ihren irrationalen und egoistischen Argumenten auch gegen die COVID-19-Impfung trommeln. Ein kleiner Pieks tut nicht weh, kann aber Menschenleben retten und das Gesundheitssystem entlasten. Nun ist der Pieks endlich zugelassen. 

Das Leben mit Corona ist beendet, wir können unsere Sehnsucht nach Süden wieder ausleben.

Dieser Artikel wurde zum ersten Mal im Battle of Blogs gepostet.

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